1500 - Der Albino
löst das alte ab, und du wirst dich wunderbar fühlen. Du brauchst keine Angst mehr vor dem Altern zu haben, denn ich gebe dir so etwas wie das ewige Leben. Es wird für dich einfach wunderbar werden. Du kannst dich in dein Schicksal ergeben. Du wirst dich fallen lassen können, und du musst keine Angst mehr haben. Allein das ist wichtig, mein Freund. Alles andere nicht.«
Lucio hörte zu, und er spürte, dass ihm die Worte unter die Haut gingen, obwohl nicht einmal das Wort Blut gefallen war.
Mallmann lächelte, als wollte er dadurch diesem noch normalen Menschen ein gutes Gefühl geben und so zum Ausdruck bringen, dass wohl alles nicht so schlimm war.
»Ich – ich – will aber ein Mensch bleiben«, flüsterte Lucio. Er wusste selbst nicht, woher er den Mut nahm, um diese Worte zu sagen.
»Nein, es ist beschlossen, dass dein Blut mir gehört. Ich spüre meinen Hunger. Ich möchte mich sättigen, und wenn du mal meinen Zustand erreicht hast, wirst du mich verstehen können. Das kannst du mir glauben. Du wirst schweben, und du wirst immer wieder nach Menschen Ausschau halten, um deren Blut zu trinken.«
Er sagte nichts mehr. Dafür schnellte seine rechte Hand vor. Sie war bereits zur Kralle geformt und griff zu.
Plötzlich steckte Lucios Kinn in einer Klammer. Er spürte den Druck, und zugleich schossen völlig andere Gedanken durch seinen Kopf. Er dachte an seine Zeit als Mensch. Hätte jemand versucht, ihn so zu berühren, wäre es ihm schlecht ergangen. Dann hätte er sofort reagiert und den Typen zusammengefaltet.
In diesem Fall blieb er wie gelähmt stehen. Er wusste auch nicht, ob es der Blick der Augen war, der ihn bannte und fast wie unter eine Hypnose stellte.
Mallmann bewegte seine Hand. Der Albino entkam dem Griff nicht. Er musste seinen Kopf einfach bewegen, der nach rechts gedreht wurde, sodass sich die Haut an seiner linken Halsseite spannte.
Der Biss!, schoss es dem Albino durch den Kopf. Er wird bald erfolgen. Ob es wehtut?
Es war der letzte Gedanke, der noch durch seinen Kopf zuckte.
Danach war es vorbei. Er sah einen Schatten auf sich zuhuschen, und plötzlich hing ein weit aufgerissener Mund an seinem Hals.
Dann erfolgte der Biss!
An genau zwei Stellen wurde seine Haut durchbohrt. Der Schmerz war zu ertragen. Er war kaum anders, als hätte man ihm eine Spritze gegeben, nur gab es die Einstriche an zwei verschiedenen Stellen.
Das Blut floss.
Es war zu spüren, wie die Adern es in die Bissstellen hineinpumpten, sodass es aus ihnen sprudelte.
Der Albino vernahm ein tiefes und sattes Stöhnen, das auch ein normaler Mensch hätte abgeben können. Er sah es einfach als wunderbar an, und er merkte, dass etwas mit ihm passierte, das er niemals für möglich gehalten hätte.
Er sackte in die Knie, weil sie plötzlich anfingen zu zittern und er fast nicht mehr die Kraft hatte, sich auf den Beinen zu halten. Lucio schaute nach vorn und an dem Blutsauger vorbei, und er sah den Hypnotiseur vor der Tür stehen.
Saladin lächelte, und Lucio wusste nicht, weshalb er sich gerade auf dieses Gesicht konzentrierte. Aber er stellte fest, dass es immer mehr verschwamm. Da lösten sich die Konturen auf, als hätte jemand einen Kübel grauer Farbe darüber gekippt.
Lucio sah nichts mehr.
Dafür hörte er das gierige Schmatzen, das leise Schlürfen und das satte Grunzen, das immer wieder aufklang, wenn der Sauger eine Pause machte. Doch auch die Geräusche vergingen in einem seltsamen Strudel, der ihn erfasst hatte und ihm das Leben aus dem Körper zerrte.
Die Beine wollten ihn nicht mehr halten. Er knickte weg. Dass er dem Boden entgegen sank, erlebte er wie in einem sich allmählich auflösenden Traum.
Dracula II ließ den Albino nicht los. Er hatte sich förmlich an ihm festgesaugt. Es kam für ihn nicht infrage, dass er auch nur einen Tropfen Blut verschwendete.
Er brauchte alles.
Und genau diesen Genuss gönnte er sich…
***
Der Albino hatte nicht den geringsten Schimmer, wie lange er weggetreten war, als er aus seinem ungewöhnlichen Zustand erwachte, sich bewegte und dabei merkte, dass er sich aus der Rückenlage auf die Seite drehte. Danach wälzte er sich weiter in Bauchlage, in der er zunächst mal liegen blieb.
Das Zeitgefühl war ihm völlig verloren gegangen. So blieb er liegen und wartete darauf, dass er sich erholte. Der Platz, an dem er sich befand, und seine Lage gefielen ihm – bis zu einem gewissen Zeitpunkt. Da begann er zu spüren, dass sich etwas in ihm verändert hatte.
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