1504 - Mordgeschichten
hier.«
Bill tippte mir auf die Schulter.
»Wir könnten es von zwei Seiten versuchen.«
»Du meinst, wir sollten sie in die Zange nehmen?«
»Ja.«
»Und dann?«
»Ich habe keine Ahnung. Aber ich finde es besser, wenn wir zu zweit sind. Da können wir sie ablenken.«
»Gut.« Ich schaute mir das Haus an. Ja, es war flach, aber es hatte kein kasernenartiges Aussehen. Es gab auch keine Betonmauern, dafür jede Menge Glas, das heißt, recht große Fenster, die einen guten Blick in das Innere zuließen. Auf den Scheiben klebten bunte Vögel, die immer dann verschwanden, wenn mal wieder eine Rauchwolke vorbei trieb. Sie war zugleich ein Schutz, den wir ausnutzen konnten.
Der Eingang lag an der Schmalseite und war von uns nicht einsehbar.
»Bleibt es dabei?«, fragte Bill.
»Ja.«
Ed Hardy hatte uns zugehört. »Sie wollen also hinein?«
»Kennen Sie eine bessere Möglichkeit, Mr Hardy?«
»Nein.«
»Dann bleibt uns nichts anderes übrig.«
»Ich weiß nur nicht, ob die Tür abgeschlossen ist. Geschrien hat diese Ramona Gibbs aus dem Fenster.«
Für uns spielte es keine Rolle, von wo sie geschrien hatte. Es war wichtig, dass wir an die Kinder herankamen und natürlich an die Frau, die für sie verantwortlich war. Und das alles, ohne dass es Verletzte oder sogar Tote gab.
Der böse Engel war unterwegs. Einer, der zu einer grausamen Kultfigur geworden war und der des geschafft hatte, aus Menschen Monster zu machen. Wir konnten bisher nur hinterher rennen, aber ich war fest entschlossen, Aarons Apokalypse zu stoppen…
***
Die vier Kinder saßen auf der schmalen Bank, zitterten und schauten aus weit geöffneten Augen die Person an, der sie vertraut hatten, und die jetzt zu einer anderen geworden war, obwohl sich ihr Aussehen nur unwesentlich verändert hatte.
Ramona Gibbs trug noch immer ihre lange schwarze Hose. Dazu den dunkelroten Pullover, der ihr bis über die Hüften fiel. Die Füße steckten in bequemen Schuhen, und eigentlich sah die achtundzwanzigjährige junge Frau völlig normal aus, obwohl sie ihre dunkle Haarflut gelöst hatte, die sonst hochgesteckt war.
Es war das Gesicht, das die Kinder störte. Es hatte sich völlig verändert.
Der Ausdruck war ins Gegenteil gekehrt. Es gab keine Freundlichkeit mehr in den Zügen. Der warme und verständnisvolle Blick war verschwunden. Die dunklen Augen sahen kalt aus, sie bewegten sich hektisch von einer Seite zur anderen. Auf der Haut lag der Schweiß, der Mund stand halb offen, und der Atem drang nur als Zischen zwischen den Lippen hervor.
Zwei Jungen und zwei Mädchen schauten ihre Erzieherin an und begriffen die Welt nicht mehr. Sie spürten die Veränderung, die Ramona durchgemacht hatte, und deshalb litten sie darunter.
Es war nicht mehr die, die sie kannten. Sie hatte sich verwandelt und die Angst in die Herzen der Kindern gepflanzt. Sie hatte sich wie ein Stachel in ihre kleinen Körper eingegraben und sie stumm gemacht.
Waren sie ansonsten lebhaft und gut drauf gewesen, so glichen sie jetzt erstarrten Geschöpfen, die einfach nur still saßen und nichts tun konnten.
Ramona lächelte sie an. Aber es war kein Lächeln, das eines der Kinder hätte erwidern können. Man konnte es als grausam und Schlangenhaft bezeichnen. Da hatten sich die Lider verengt und waren zu Schlitzen geworden.
Als es brannte, hatte sich Ramona mit ihnen in diesen Teil des Gebäudes geflüchtet. Hier brannte es nicht, aber es war nicht sicher, ob dies auch so bleiben würde.
Ramona lachte sie scharf an. »Das Feuer«, flüsterte sie, »habt ihr das Feuer gesehen?«
»Wir wollen weg!«, rief einer der Jungen jammernd.
»Ich will nicht verbrennen!«
»Weg nach Hause….«
Die Erzieherin amüsierte sich über die Bitten der Kinder. Sie hatte sich völlig gedreht und befand sich auf einem ganz anderen Trip. Was ihren Job sonst ausgemacht hatte, das war vergessen, jetzt ging es darum zu zeigen, wer der neue Herr war.
»Das Feuer«, fing sie wieder an, »das Feuer ist etwas Besonderes. Hier habe ich dafür gesorgt, aber das ist nicht alles gewesen, meine lieben Kleinen. Es gibt noch ein weiteres Feuer, das nicht von hier stammt. Es ist das Feuer der Hölle. Und ich sage euch, dass die Hölle einen Engel geschickt hat. Es ist…«
»Ich mag Engel«, sagte eines der Mädchen. »Ja, ich mag sie.«
»Wie schön. Dann kannst du dich über den Engel freuen, den ich so liebe. Er ist zu mir gekommen, meine Kleinen.«
»Wieso? Hast du Besuch von einem Engel
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