152 - Prophet des Feuers
zur Sache kommen", begann Banjar. Sein Blick wanderte von einem Teilnehmer zum anderen, interessiert und anteilnehmend, zugleich aber auch mit leicht hypnotischer Gewalt. „Ziel dieses Seminars ist es, die Genußfähigkeit der Teilnehmer zu steigern. Wie soll das geschehen?"
Auf Ilona, einer sehr attraktiven Mittdreißigerin, verweilte Banjars Blick besonders lange, und Grabosc hatte sofort den Verdacht, daß der Meister bei Genuß nicht nur ans Essen dachte.
„Zum Genuß gehört es, viele Dinge zu genießen - ob Essen, Trinken, Macht oder was auch immer. Doch das vermögen nur wenige Menschen. Die meisten sind nur halb bei der Sache '- nicht wahr?" Grabosc schrak zusammen. Er hatte einen Augenblick lang Vergleiche gezogen zu Geschehnissen, mit denen er es vor etlichen Wochen zu tun gehabt hatte. Deswegen war er Banjars Vortrag nur mit halbem Ohr gefolgt.
„Ich will nicht wissen, woran Sie gedacht haben", fuhr Banjar fort. Seine Stimme klang warm und liebenswürdig und schien auszudrücken, daß der Mann wußte, wovon er redete. „Wichtig ist nur - Sie waren nicht ganz bei der Sache. Irgendwelche unerledigten Geschäfte haben Sie abgelenkt, und dergleichen setzt die Genußfähigkeit eines Menschen beträchtlich herab, kann sie sogar völlig zum Erliegen bringen. Manch einer schlingt alles Mögliche in sich hinein, ohne davon etwas wirklich wahrzunehmen. Nun braucht der Mensch aber Genuß, um überhaupt leben zu können. Wie schon Brillat-Savarin sagte, der Autor der
Physiologie des Geschmacks:
Der Mensch muß essen, wie alle anderen Lebewesen; doch es ist der Wille der Natur, daß der Mensch gut essen soll."
Banjar leckte sich die Lippen. In seine Augen trat ein sinnlicher Glanz.
„Wie nun hindert der Mensch sich am Genuß? Durch unerledigte Geschäfte. Was sind das für unerledigte Geschäfte? Es können elterliche Verbote sein, gesellschaftliche Vorurteile, ja sogar persönliche Erfahrungen, die - einmal gemacht - nie wieder überprüft worden sind. Gleichgültig, worum es sich auch handeln mag - irgend etwas schneidet die Genußfähigkeit ab, und die Menschen - also Sie - lassen das zu. Wenn Sie genau nachschauen, werden Sie feststellen, daß dabei fast ohne Ausnahme Angst im Spiel ist."
Grabosc nickte beifällig. Wenn er nicht immer wieder hätte Rücksicht auf seine Vorgesetzten nehmen müssen, wäre sein Leben auch angenehmer verlaufen.
„Das bedeutet, daß wir in einer solchen Situation unsere Möglichkeiten nicht ausschöpfen. Lassen Sie mich ein einfaches Beispiel nehmen. Sie sitzen bei Tisch und essen irgend etwas mit Knochen. Es gilt als unschicklich, diese Knochen in die Hand zu nehmen und abzunagen - wiewohl jedermann es gern täte. Die meisten, die es versuchen, spüren in ihrem Inneren noch immer den strafenden Blick der Eltern, die das verboten haben, zucken zusammen und versagen sich den Genuß. Andere tun zwar, wonach ihnen zumute ist - aber innerlich sind sie verkrampft; sie wissen genau, daß sie gegen ein Gebot verstoßen. In solchen Fällen hilft nur eines - offene Aggression gegen diese inneren Kontrollinstanzen. Und an dieser Aggression werden wir arbeiten. Ich werde Sie lehren, sich Ihrer Aggressivität zu bedienen, sie sich dienstbar zu machen. Und Sie werden sehen, daß das funktioniert."
Grabosc wiegte den Kopf.
„Sie zweifeln? Wollen Sie den Anfang machen?"
Grabosc schrak zusammen.
„Was… ich?"
Banjar lächelte.
„Schon lähmen Sie sich", sagte er freundlich. „Oder…?"
„Unsinn", begehrte Grabosc auf. Die Hartnäckigkeit des Meisters ging ihm auf die Nerven. Er merkte, daß er zornig wurde.
„Ich kann es sehen", erwiderte Banjar. Der gleichbleibend freundliche Tonfall machte Grabosc nur noch ergrimmter. „Sie ballen die Hände zu Fäusten, und an Ihrer Halsschlagader kann ich sehen, daß sich Ihr Puls beschleunigt. Sie sind zornig - und Sie schneiden sich selbst diesen Zorn ab. Haben Sie sich in den letzten Tagen über irgend jemanden geärgert?"
Unwillkürlich wanderten Graboscs Augen zu der quengeligen Gertrud hinüber. Der entging das nicht, und sie setzte ein beleidigtes Gesicht auf - was Grabosc erneut die Galle sieden ließ.
„Machen Sie aus Ihrem Herzen keine Mördergrube", drängte Banjar. „Spucken Sie aus, was Sie zu sagen haben."
Eine halbe Minute preßte Grabosc die Lippen aufeinander, dann sprudelte er los. Er legte sich keine Zurückhaltung auf. Gertrud wurde ab und zu blaß, dann wieder rot. Jetzt war sie es, die die Hände zu Fäusten
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