1526 - Mirandas Schutzengel
doch die Regeln. Wir beide wissen, dass sich auch in London die Mafia mit ihren Krakenarmen ausgebreitet hat. Dass es Schutzgelderpressung gibt und dass fast hundert Prozent der Lokalbesitzer zahlen. Von der Pizzeria an der Ecke bis hin zum Nobelschuppen. Machen wir uns nichts vor, das ist eben so.«
»Dazu kann ich Ihnen nichts sagen.«
»Dann sagt Ihnen auch der Name Romazzino nichts?«
»Schon. Das ist ein Geschäftspartner, ein Großhändler. Er beliefert uns mit Waren.«
»Und weiter?«
»Nichts.«
»Das sagen Sie.«
»Sie werden auch nichts anderes von mir hören, Mr Sinclair«, flüsterte Bruno Zanussi. »Ich bleibe dabei und stehe dazu. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Aber wir sollen Ihnen doch helfen«, meinte Suko wie nebenbei.
»Nicht mir. Es geht um Miranda. Sie braucht einen Menschen, der Bescheid weiß und zu dem sie auch ein gewisses Vertrauensverhältnis aufbauen kann. So und nicht anders sehe ich es.«
Der Ansicht war ich nicht. Ich ging davon aus, dass beides in einem Zusammenhang stand.
»Das müssen Sie mir erklären«, erwiderte Bruno unwillig.
»Die beiden kamen, um Miranda zu bedrohen. Sie erklärten ihr, dass es weitergehen würde wie bisher. Da ihre Mutter nicht mehr am Leben wäre, sei sie eben die legitime Nachfolgerin. Man wird ihr das schon erklärt haben, und wir gehen davon aus, dass sie auch mit Ihnen darüber sprach.«
Bruno Zanussi mauerte weiter. »Nein, mit mir hat sie nur über die Monster gesprochen. Und dafür gibt es keine Erklärung, Mr Sinclair. Zumindest nicht für mich. Aber ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, jetzt, wo Sie und Ihr Kollege hier sind.«
»Und wir haben uns auch nicht verweigert. Wir sind hier, um mit Miranda zu sprechen. Dagegen haben Sie doch nichts - oder?«
»Nein.«
»Ist sie denn eingeweiht worden? Weiß sie, dass wir heute hier sind, um ihr ein paar Fragen zu stellen?«
Zanussi schluckte, obwohl er nur Speichel im Mund hatte. Es war mehr eine nervöse Reaktion.
»Nein, das habe ich noch nicht gekonnt. Ich habe sie vorher sicherheitshalber nicht gefragt, denn sie ist der Meinung, dass diese Dinge nur sie etwas angehen.«
»Jetzt nicht mehr.«
Bruno nickte. »Ja, das ist wohl wahr. Versuchen Sie, den Fall zu klären. Es geht ja nur um die Monster.«
Er sagte es und stand auf, denn unser Essen wurde serviert.
Man wünschte uns einen guten Appetit, dann zog sich der Chef zurück.
Als Suko seinen Blick über die Vorspeisen und den Salat gleiten ließ, umspielte ein Lächeln seine Lippen.
»Der Mann hat Angst, John, und nicht nur vor diesen Monstern, sondern auch vor diesem Romazzino-Clan. Das sehe ich ihm an, und dafür brauche ich auch keine Bestätigung.«
»Du sagst es. Aber hast du dir mal Gedanken über die Beschreibung der Monster gemacht?«
»Ich denke schon. Es sind Skelette gewesen, die mit einer dicken Schleimschicht bedeckt waren.«
»Du denkst an Ghouls?«
»Vielleicht, John. Aber erst will ich mal was essen. Das sieht ja alles gut aus.«
Ich konnte in das gleiche Horn stoßen. Auch mein Fischfilet, das in der leichten hellen Champagnersoße schwamm, war hervorragend.
Wir ließen uns beim Essen nicht stören, trotzdem blieben wir wachsam.
Ich schaute ab und zu vom Teller hoch, um meinen Blick schweifen zu lassen, und hatte auch das nötige Glück, denn ich sah eine neue Person, die in der Nähe der Theke stand und dabei war, ProseccoFlaschen in einen mit Eisstücken gefüllten Kübel zu stellen.
Mir fiel das lange, gescheitelte blonde Haar auf, das bis auf die Schultern der jungen Frau hing. Sie hatte ein schmales und hübsches Gesicht.
Das musste Miranda sein. Sie trug ein helles Kleid mit rundem Ausschnitt.
Ob sie auch zu unserem Tisch schaute, hatte ich nicht gesehen. Sie arbeitete weiter, und ich kümmerte mich wieder um mein Essen. Da Suko mit dem Rücken zu ihr saß, erklärte ich ihm, dass Miranda mittlerweile eingetroffen war.
»Alles klar. Da bin ich mal gespannt, was sie uns zu sagen hat. Hoffentlich stellt sie sich nicht so an wie ihr Onkel. Sie muss sich uns gegenüber schon öffnen, wenn sie will, dass wir ihr helfen.«
»Das denke ich auch.«
Wir aßen erst einmal zu Ende. Die Gerichte hatten uns beide zufrieden gestellt, und es war genau die richtige Menge gewesen, um einen Menschen satt zu bekommen. Ein Wein hätte noch dazu gehört, aber wir waren nun mal nicht privat hier, und niemand von uns wusste, was noch auf uns zukommen würde.
Fast gleichzeitig schoben wir unsere Teller zur
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