1526 - Mirandas Schutzengel
bisher, nicht wahr?«
»Ja, sicher. Aber wie meinen Sie das?«
»Es gibt eine Erbin.«
»Sie meinen meine Nichte?«
»Richtig.«
Bruno nickte. »Es ist noch nicht alles geregelt, wie Sie sich bestimmt vorstellen können. Meine Nichte braucht noch etwas Zeit. Sie hat schwer gelitten.«
»Sie ja, wir nicht, denn wir haben keine Zeit. Deshalb sind wir hier, um mit ihr zu reden.«
»Über das Erbe?«
»Ja, über das, was dieses Erbe bedeutet.« Der Sprecher tippte Bruno gegen die Brust. »Dann hol sie mal her, mein Freund.«
»Sie ist im Moment nicht da, und ich weiß auch nicht, wo sie sich aufhält. Aber…«
Es war ein leises Klatschen zu hören, als der Mann gegen Brunos rechte Wange schlug.
»Es wäre besser, wenn du uns antworten würdest. Wenn wir erst anfangen, sie zu suchen, kann ich für nichts mehr garantieren. Dann könnte schon mal die eine oder andere Flasche zu Bruch gehen und…«
»Das muss nicht sein!«, klang eine Frauenstimme auf.
Gleichzeitig klirrten die Perlen eines Vorhangs gegeneinander, und Miranda Zanussi trat in das Lokal hinein…
***
Ihr Erscheinen trieb die Spannung auf den Siedepunkt, denn die Gespräche der Gäste, die wieder aufgenommen worden waren, flachten abermals ab.
Miranda hatte ihren Auftritt. Sie gab sich souverän und nicht provozierend und fragte den Typ mit den schwarzen Haaren: »Was wollen Sie?«
Der Angesprochene grinste. Sein Mund zog sich dabei in die Breite. Der Kopf ruckte vor, und mit leiser, aber sehr gut verständlicher Stimme fragte er: »Kannst du dir das nicht denken?«
»Nein, ich kenne Sie nicht.«
»Das wird sich ändern. Mein Name ist Dino, einfach nur Dino, und ich habe schon früher mit deiner Mutter verhandelt. Sie war stets sehr kooperativ. Leider ist sie gestorben. Du als Kind wirst dich doch nicht gegen deine Mutter stellen wollen - oder?«
»Sagen Sie mir, was Sie wollen.«
»Nicht hier, Miranda. Lass uns in die hinteren Räume gehen.«
»Besser nicht.«
Dino lachte über die Antwort. »Wieso sagst du das? Das hörte sich ja wie eine Warnung an.«
»Das war auch eine.«
»Lass uns gehen. Die Gäste hier wollen sicher in Ruhe essen und trinken. Da ist es besser, wenn wir sie nicht stören. Außerdem müssen wir private Dinge besprechen.«
Miranda wollte zu einer Antwort ansetzen, als ihr Onkel Bruno eingriff. Er hatte sich bis in ihre Nähe gestohlen und stand wie ein Bittsteller neben ihr.
»Miranda, ich flehe dich an. Stell dich nicht gegen sie. Tu bitte, was sie wollen.«
Dino lachte und sagte: »Du bist vernünftig, Bruno. Ja, du bist es wirklich.«
»Bruno, ich bin nicht meine Mutter und nicht deine Schwester. Ich denke nicht daran, an diese Hundesöhne zu zahlen. Sie sind nichts anderes als menschlicher Dreck. Sie - sie - sind Schmeißfliegen. Hast du gehört? Schmeißfliegen. Und ihnen noch so etwas wie Nahrung zu bieten, will mir nicht einleuchten.«
Der Restaurantbesitzer erbleichte.
»Du setzt alles aufs Spiel«, flüsterte er. »Alles, was deine Mutter und ich aufgebaut haben. Willst du das? Willst du, dass unser Geschäft hier vor die Hunde geht und wir unter der Erde liegen? Du bist noch zu jung. Die kennen kein Pardon. Die machen dich fertig, und du kannst dich nicht wehren. Hör dir zumindest erst mal an, was sie zu sagen haben.«
Miranda dachte nach. Sie blieb dabei auf dem Fleck stehen, aber sie bewegte den Kopf, um sich umzusehen, als wäre sie dabei, nach etwas Bestimmtem Ausschau zu halten.
Dino schaute sie nur an. Er grinste dabei. Es war ihm anzusehen, dass er die Situation genoss.
Mir war klar, dass jeder Gast, der im Lokal saß, genau Bescheid wusste, was hier ablief. Die Mafia war wie ein Krake, der seine Tentakel überall hin ausstreckte. Und sie hielt sich dabei meist im Hintergrund. Aber es wurde trotzdem noch genug über sie geschrieben, denn die Medien wussten genau, mit wem sie es zu tun hatten. Man sprach nur nicht offen darüber, aber gerade auf dem Gebiet der Schutzgelderpressung stand sie an erster Stelle.
Miranda ließ sich Zeit. Mir fiel dabei auf, dass sie nichts von ihrer Souveränität verlor. Sie zeigte keine Spur von Angst. Doch genau das machte mich nachdenklich.
Für mich war sie eine ungewöhnliche Person, die ich auch als verantwortungsvoll einstufte, denn ich glaubte nicht, dass sie es hier im Lokal auf eine Schießerei ankommen lassen würde.
Sie sagte nichts. Sie starrte die Männer nur an. Plötzlich hatte sich die Spannung wieder aufgebaut. In den folgenden Sekunden
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