1529 - Tochter, Mutter, Teufelssaat
Aufsetzen eines Fußes bereits auf der Treppenstufe. Der Laut hatte so anders geklungen, und die Haut an ihrem Nacken zog sich zusammen.
Am liebsten hätte sie die Augen geschlossen. Genau das brachte sie nicht fertig, so schaute sie starr und angespannt über die Stufen der Treppe hinweg in die Höhe.
Noch sah sie nichts. Es war auch alles sehr düster und eng. Sie musste sich schon anstrengen und zuckte leicht zusammen, als sie die Füße und einen Teil der Beine sah. Sie wirkten wie zwei Stöcke, so dünn.
Zudem wurden sie von dem ebenfalls sehr dünnen Stoff des Rocks kaum verdeckt.
Elisa unternahm nichts. Es war besser, wenn sie ihrer Mutter nicht entgegenging.
Sie hatte sich zudem keine Vorstellungen von ihr gemacht, bewusst nicht, um nicht enttäuscht zu werden, aber jetzt ging sie davon aus, dass ihre Mutter alles andere als eine schöne Frau war, und so zerbrachen auch manche Träume, denn als Kind hatte sie sich vorgestellt, eine schöne Mutter zu haben. Eine wie aus dem Märchenbuch, die eben in die Mühlen des Schicksals hineingeraten war und sich deshalb nicht hatte um die Tochter kümmern können. Auch hatte sie ihrem Vater die Schuld gegeben, dass die Mutter so gehandelt hatte. Nun wurden diese Wunschträume relativiert, denn sie entdeckte mehr von der Frau, die Stufe für Stufe herunter kam.
Es war nicht nur der Rock, es war auch das Oberteil, das aus diesem bräunlichen Stoff bestand. Eine genaue Farbe war ihm nicht zuzuordnen, aber das war jetzt nicht mehr wichtig.
Elisa sah die dünnen Arme. Sie entdeckte den passenden Körper dazu und sah, dass das Kleid der Mutter an den Brüsten endete. Dort trug sie einen BH, der irgendwo in einer angeschnittenen Korsage endete.
Auch das riss sie nicht vom Hocker. Es gab viele Menschen, die nicht eben dick waren.
Am schlimmsten war für sie der Anblick des Gesichts. Das sollte ihre Mutter sein?
Sie hatte den Wunsch zu schreien, aber in ihrem Innern gab es eine Zange, die dafür sorgte, dass kein Laut über ihre Lippen drang…
***
Ja, das war ein Gesicht. Elisa hatte sich nie große Gedanken darüber gemacht wie eine Hexe aussah. Die Bilder aus der Kindheit, die sie in den Märchenbüchern gefunden hatte, waren längst verschwunden, aber dieses Gesicht, das hätte auch zu einer verdammten Hexe gepasst.
Es war schmal. Es bestand aus Haut und Knochen. Es war eingefallen.
Die Augen lagen tief in den Höhlen. Ein breiter Mund, in dem die Lippen kaum zu erkennen waren. Darunter wuchs das kantige Kinn, das spitz nach vorn trat. Und dann gab es noch die Haare. Sie waren grau, sie waren weiß, und sie waren nicht gekämmt. Wie dünne Fäden standen sie vom mageren Kopf ab und ließen dabei die beiden Ohren sehen.
Das ist meine Mutter!
Der Gedanke wollte einfach nicht weichen. Er setzte sich in Elisas Gehirn fest. Wieder überkam sie der Wunsch, laut zu schreien, doch sie hielt sich zurück.
»Hallo, ich habe Besuch bekommen.«
Zum ersten Mal hörte sie die Stimme der Frau, die angeblich ihre Mutter war. Es war schon eine menschliche Stimme, aber sie mochte sie nicht.
Sie war zu krächzend, nicht freundlich, mehr lauernd, und irgendwo auch bösartig.
Auf der drittletzten Stufe war Camilla Foret stehen geblieben. Sie nahm sich die Zeit, ihre Tochter genauer anzuschauen, und Elisa sah, wie sie nickte.
»Ja, ja, ich spüre es. Ich spüre es genau. Und ich habe lange darauf gewartet, meine Tochter endlich sehen zu können…«
Sie weiß es! Sie weiß, dass ich ihre Tochter bin, verflucht! Aber woher weiß sie es? Angeblich hat sie mich seit dem Babyalter nicht mehr gesehen. Wieso kann sie mich jetzt darauf ansprechen, dass ich ihre Tochter bin? Das geht doch nicht. Und ich habe mich nicht angemeldet. Verdammt noch mal.
Camilla schwieg. Aber sie lächelte jetzt, und Elisa war davon überzeugt, dass es kein freundliches Lächeln war. Die Person, die vor ihr stand und behauptete, ihre Mutter zu sein, zeigte ihr ein Grinsen, das ihr bösartig und zugleich widerlich vorkam.
»Ja, du bist Elisa, ich weiß das. Ich sehe ein wunderschönes Mädchen vor mir. Du hast dich prächtig entwickelt, wenn ich dich so anschaue, und du wirst vielen Männern noch großen Spaß bereiten. Ich weiß das. Da kommst du auf mich raus.«
Elisa schüttelte den Kopf. Sie konnte das alles nicht glauben. Männern Spaß bereiten, damit hatte sie sich nie beschäftigt, und sie wollte so etwas von ihrer Mutter auch nicht hören.
Überhaupt - Mutter!
Angeblich hatte sie ihre
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