1537 - Der Schlafwandler
einen Schlag, denn Sorbas hatte sich so tief gebückt, dass er sie anstarren konnte.
Ihre Blicke trafen sich.
Sheila sah in die kalten Augen, deren Blick irgendwie weggetreten war.
Sie sah den Mund mit den geschlossenen Lippen und auch das Grinsen um ihn herum.
Er sprach einen Satz. »Da bist du ja!«
Sheila konnte keine Antwort geben, denn ihr Kehle saß zu. Frost schien ihren Körper zu streifen, und sie vernahm die Frage wie aus weiter Ferne.
»Kommst du freiwillig? Oder soll ich dich holen?«
Sie wollte von Sorbas nicht angefasst werden, nickte und flüsterte: »Ich komme freiwillig.«
»Sehr gut.«
Sheila kroch vor. Der Schlafwandler war zurückgetreten, damit sie den nötigen Platz hatte, um aus ihrem Versteck kriechen zu können.
Es war Sheila gelungen, ihre Gedanken auszuschalten. Sie schaute einfach nur nach vorn, mehr nicht. Und sie wollte auch nicht weiter in die Zukunft denken, um ihre Furcht nicht noch zu steigern.
Mit steifen Bewegungen richtete sie sich auf. Jetzt erst sah sie, wie groß Karel Sorbas war. Als Hüne stand er vor ihr und schaute kalt auf sie herab.
Plötzlich packte er zu. Seine Pranke erwischte Sheilas Schulter. Die Finger bissen sich förmlich darin fest, und Sheila wurde mit einer scharfen Bewegung herumgezogen.
Sie wollte keinen Schlag in den Rücken bekommen. Deshalb ging sie freiwillig auf den Vorhang zu, der nicht mehr geschlossen war. So sah sie die Frau mit der Waffe, die sich so aufgestellt hatte, dass sie gar nicht übersehen werden konnte.
Auf ihrem Gesicht lag das eisige Lächeln. Sie freute sich darauf, Sheila in ihre Gewalt zu bekommen, und ließ die Schneide der Axt dicht über dem Boden hin und her schwingen.
Sheila Conolly blieb vor Angel stehen. Sie versuchte sich so gut wie möglich in der Gewalt zu haben und keine Angst zu zeigen. Dabei dachte sie daran, dass sie schon einiges in ihrem Leben durchgemacht hatte, das half ihr auch jetzt.
Sie wusste Angel nicht richtig einzuschätzen. Hätte die Frau eine Peitsche in der Hand gehalten und nicht dieses Richtbeil, hätte sie als perfekte Domina durchgehen können, denn das Outfit passte irgendwie.
»Du weißt, was dir bevorsteht?«
»Nein…«
Angel lachte. »Wir lassen uns nicht gern stören. Wer das tut, der hat sein Leben verwirkt.«
»Wobei habe ich euch gestört?«
»Bei unserer Aufgabe. Wir tun den Menschen einen Gefallen, und das soll auch so bleiben.«
»Ist die Aufforderung zum Selbstmord ein Gefallen?«
»Für sie ja. Sie wollen es nicht anders. Karel ist sensibel genug, um sie zu führen, und ich erwarte sie dann in meinem Reich. Selbstmörder waren nie anerkannt. Man hat sie nicht mal auf den normalen Friedhöfen begraben, sondern außerhalb oder ganz am Rand. Ihre Seelen landeten in der Verdammnis oder im Fegefeuer, so hieß es. Ich aber fange sie ab. Ich hole sie in meine Welt. Ich bin der Engel, der ihnen eine Heimat gibt.«
»Du zerrst sie in die Verdammnis.«
»Ha, ich ergötze mich daran. So wie Karel Macht über die Menschen hat, übe ich sie bei ihren Seelen aus. Sie sichern mir meine Existenz, denn ich brauche sie, um überleben zu können.«
»Und dein Boss ist der Teufel?«
»Ja.«
»Dann holst du für ihn die Seelen?«
Angels Mund verzog sich, als sie grinste. »Ich gebe ihm zumindest etwas ab.«
»Ja, es sind die alten Regeln«, bestätigte Sheila und dachte dabei an John und Suko, die ihren Hilferuf empfangen hatten. Sie waren auch bestimmt unterwegs, aber noch konnten sie die Boutique nicht erreicht haben. Die Zeit war zu kurz gewesen.
Binnen einer winzigen Zeitspanne wechselte Angel das Thema. »Wo ist sie hin?«
»Wen meinst du?«
»Deine Freundin!«
»Ich weiß es nicht.«
Mit der linken Hand schlug Angel in Sheilas Gesicht. Sheila zuckte zusammen und spürte die Hitze auf ihrer Wange, gepaart mit einem brennenden Schmerz.
»Ich kann es dir wirklich nicht sagen. Sie kann überall sein. Das ist nun mal so.«
»Überall? Wieso kann sie sich auflösen? Was ist mit ihr los? Wer steckt dahinter? Oder was?«
»Frag sie selbst!«
Die Antwort gefiel Angel nicht. Sie hob die Waffe an und rammte sie vor.
Nicht die Schneide traf Sheila, sondern das Ende des langen Stiels. Er bohrte sich in Sheilas Magenkuhle, und sie sackte zusammen. Dabei schnappte sie nach Luft, taumelte zurück und wurde vom Schlafwandler gestoppt.
»Die nächste Berührung kostet dich deinen Kopf!«
Sheila rang nach Atem. »Ich weiß es wirklich nicht.« Sie brachte die Worte stockend
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