1540 - Das Drachenriff
hatte sie sich inzwischen gewöhnt. Sie hörte es kaum noch und konzentrierte sich nur auf einen bestimmten Platz, den sie leider nicht sah.
Und doch war er da.
Leider nicht für sie, denn urplötzlich kehrte der Krieger mit seiner blutigen Waffe zurück.
Und wie er das tat.
Er stolperte förmlich in die Welt hinein, nachdem es wieder um ihn herum aufgeschimmert war. Er lief weiter, stolperte erneut, hielt sich auf den Beinen, und sein Gesicht war dabei bis aufs Äußerste verzerrt.
Purdy wich ihm sofort aus. Sie wollte nicht von einem Schwerthieb erwischt werden, doch daran zeigte der Mann keinerlei Interesse. Er war recht schwach, und Purdy erkannte jetzt, dass er sich nur mühsam auf den Beinen hielt.
Etwas musste mit ihm geschehen sein.
Drei schwankende Schritte lief er noch in ihre Richtung, dann brach er beinahe wie vom Blitz getroffen zusammen, schlug seitlich auf, drehte sich danach auf den Rücken und blieb bewegungslos liegen.
Purdy Prentiss wartete ab. Sie ging zunächst keinen Schritt näher und beobachtete ihn nur.
Dabei ließ sie eine gewisse Zeit verstreichen. Sie achtete auch darauf, ob er atmete oder nicht, aber auch da war nichts zu sehen.
Der Mann lebte nicht mehr.
Erst als das für die Staatsanwältin hundertprozentig feststand, ging sie näher. Sie blickte auf ihn nieder und sah plötzlich die rote Farbe im Fell der Kleidung. Für sie war es keine Farbe, sondern Blut, und das musste aus einer Wunde stammen, die man ihm zugefügt hatte. Sie befand sich in seiner Brust.
Purdy war es gewohnt, den Dingen auf den Grund zu gehen. Sie wollte es genau wissen und schob das Fellhemd so weit in die Höhe, dass die Brust frei vor ihr lag und sie das Einschussloch sah.
Jetzt war ihr alles klar. Der Krieger oder Mörder hatte durch den Spiegel die andere Seite erreicht, aber dort war auf ihn geschossen worden.
Kurz von seinem Tod war es ihm noch gelungen, sich in diese Welt zu retten, was ihm auch das Leben nicht mehr zurückbrachte.
Sie sah das blutige Schwert und ging davon aus, dass den Mörder die gerechte Strafe ereilt hatte. Nur war ihr das nicht genug. Sie wollte mehr wissen, das war so ihre Art.
Wer war denn in der Lage gewesen, diesen Mann zu töten? Das musste im Mordzimmer geschehen sein. Vielleicht die Polizisten, die sich noch in der Wohnung des Toten aufgehalten hatten. Eine andere Möglichkeit kam ihr nicht in den Sinn.
Purdy beugte sich über die Wunde. Sie folgte einem inneren Befehl, und als sie in den Schusskanal schaute und auch dessen Ende erkannte, da sah sie etwas Helles, und sie glaubte nicht, dass sie sich dabei täuschte.
Es war die Kugel, die dort steckte.
Aber so hell?
Ein normales Bleigeschoss war das nicht. Sie kannte nur wenige Menschen, in deren Waffen helle Kugeln steckten, und sie waren auch nicht aus Blei, sondern aus Silber, das zudem noch geweiht war.
John Sinclair!
Dieser Name schoss ihr durch den Kopf. John und sie hatten schon einiges gemeinsam erlebt und durchkämpft, aber er war nicht im Mordzimmer gewesen.
Es sei denn, man hatte ihn geholt, und das traute sie Chiefinspektor Tanner durchaus zu. Aus welchen Gründen er das getan hatte, darüber wollte sie nicht spekulieren. Sie setzte nur darauf, dass sie sich nicht irrte.
Manchmal lief eben im Leben alles recht krumm und zugleich auch überraschend. Es war müßig, darüber weiterhin nachzudenken. Man musste sich eben damit abfinden.
Der Tote hielt mit seiner rechten Hand noch immer das Schwert umklammert. Es hatte keine sehr lange Klinge. Sie war an zwei Seiten geschärft, auch wenn jetzt verkrustetes Blut Teile des Metalls bedeckten.
Da sie keine Waffe besaß, drehte sie das Schwert dem Toten aus der Hand, bevor die Starre bei ihm einsetzte. Sollte sie jetzt angegriffen werden, würde sie sich wehren können, und das war zunächst das Wichtigste.
Sie stand auf und nahm die Waffe mit. Sie war sehr schwer, aber damit hatte sie gerechnet. Bei einem Kampf würde sie den Griff mit beiden Händen umfassen müssen.
Dass sie sich noch auf der Insel befand, nahm sie hin. Aber die letzte Unterbrechung hatte sie nicht davon abhalten können, ihren Plan weiter zu verfolgen. Sie wollte nicht länger auf dem Eiland bleiben und den Ort finden, von dem aus sie wieder zurück in ihre Zeit gelangte. Weit konnte er nicht entfernt sein.
Weshalb sie sich umdrehte und sich dabei noch mal dem Turm zuwandte, wusste sie selbst nicht. Es geschah wohl rein intuitiv, und sie hatte es genau zum richtigen Zeitpunkt
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