1543 - Die Flammen-Furie
Jamina.
Hatte ich mir vor wenigen Sekunden noch über ihre Kleidung Gedanken gemacht, so musste ich jetzt erkennen, dass sie sich inzwischen angepasst hatte. Über ihrem doch sehr luftigen Outfit trug sie jetzt einen langen Mantel aus dunklem Leder. Er reichte ihr bis zu den Waden. Sie hatte ihn geschlossen und schlenderte wie eine normale Besucherin durch die Gasse. Die Fackel sah ich nicht an ihr, ging jedoch davon aus, dass sie sie bei sich trug.
War es Zufall, dass sie gerade diesen Durchgang betreten hatte?
Irgendwie wollte ich nicht daran glauben und behielt sie weiterhin im Auge. Das Glas setzte ich ab. Je näher sie kam, umso gespannter wurde ich.
Jamina tat weiterhin recht harmlos.
Ich glaubte sogar, ein Lächeln auf ihre Lippen zu sehen, und immer wieder wich sie geschickt den anderen Leuten aus.
Hatte sie mich gesehen?
Sie zeigte es jedenfalls nicht und schlenderte weiter. Es sah so aus, als wollte sie die Gasse an der Marktseite verlassen, aber das änderte sich plötzlich.
Sie blieb für einen Moment stehen, drehte sich dann nach rechts - und unsere Blicke trafen sich.
Das war kein Zufall. Das war alles perfekt inszeniert. Sie hatte bestimmt gewusst, wo sie mich finden konnte.
Sie ging nun einen langen Schritt auf mich und den Tisch zu, an dem ich wartete.
Ich gab mich gelassen, trank einen Schluck von dem inzwischen lauwarmen Punsch und nickte ihr zu.
Mir gegenüber blieb sie stehen. »So sieht man sich wieder, John Sinclair.«
»Ja…«
»Und du bist allein.«
»Stimmt.«
»Das ist nicht gut.«
Ich blieb einsilbig und fragte: »Wieso?«
»Bitte, das weißt du. Wo ist sie?«
»Sorry, aber ich habe Kara noch nicht gesehen. Da muss ich leider passen.«
»Aber sie müsste hier sein.«
»Du musst schon warten, bis du sie siehst.«
»Ich schätze sie nicht für so dumm ein, dass sie kneift. Sie weiß, was auf dem Spiel steht. Oder will sie, dass diese Gasse hier von einem Feuersturm durchlodert wird?«
Ich sah das Funkeln in ihren Augen. Es war die Lust auf die Flammen.
Sie würde sich daran ergötzen, wenn die Leute in Panik gerieten und in Flammen gehüllt durch die Gasse liefen. Es war schon ein Wunder, dass sie es noch nicht getan hatte.
Aber Jamina war nicht gekommen, um mit mir zu plaudern. Das nahm ich ihr nicht ab. Sie tat nichts ohne Grund, und bestimmte Dinge hatten sich verdichtet, das spürte ich deutlich. Es war eine Aura um Jamina entstanden, die auch mir nicht verborgen blieb, und ich wollte nicht, dass es zu einer Katastrophe kam.
»Bitte«, sagte ich mit leiser Stimme. »Es ist noch früh. Der Markt wird auch in der Dunkelheit noch gut besucht sein. Du solltest schon etwas Geduld aufbringen.«
Da hatte ich ins Fettnäpfchen getreten. Ihr Gesicht nahm einen noch härteren Ausdruck an.
»Warten?«, zischte sie. »Ich soll weiterhin geduldig warten? Ist dir klar, wie lange ich schon gewartet habe? Man kann von Tausenden von Jahren sprechen.«
»Dann kommt es auf die eine oder andere Stunde auch nicht mehr an. Ich bin davon überzeugt, dass Kara hier erscheinen wird. Gib ihr noch ein wenig Zeit.«
Sie schaute mich an. Was sie dachte, ahnte ich nicht mal. In ihrem Gesicht zuckte weiterhin kein Muskel. Es war zu hören, dass sie durch die Nase Luft holte. Sie sprach kein Wort. So wusste ich nicht, woran ich war.
Bis sie sich mit einer schnellen Bewegung umdrehte. Ich dachte, dass sie die Gasse wieder verlassen wollte.
Den Gefallen tat sie mir nicht.
Sie hatte sich nur umgedreht, um näher an den Getränkestand zu gelangen. Es sah aus, als wollte sie sich einen Punsch oder einen Glühwein holen, aber da irrte ich mich, und zwar gewaltig. Ich hörte den Schrei des Verkäufers, und zugleich schoss eine Flamme in die Höhe, die im Nu den Kessel mit der Flüssigkeit erfasst hatte.
Wie bestellt war die Panik da!
***
Ich hatte mich reflexartig geduckt, als das Feuer in die Höhe schoss, und mich auch zur Seite gedreht. Andere Gäste, die sich vor dem Stand aufgehalten hatten, schrien auf. Es waren zwei Frauen aus Asien, die in ihrem Schrecken erstarrt waren.
Ich hechtete zu ihnen, packte sie und schleuderte sie zur Seite.
Der Kessel brannte lichterloh. An der Hauswand, wo der Stand endete, stand der Verkäufer und hielt seine Hände vor das Gesicht. Auch ihn hatte der Schrecken bewegungslos gemacht. Er konnte sich nicht von der Stelle rühren.
Das Feuer schlug in die Höhe und bildete tanzende Figuren. Von der Flammen-Furie war nichts mehr zu sehen, aber innerhalb
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