1549 - Der steinerne Engel
Basken hatten hier schon immer friedlich zusammengelebt.
Der größte Teil des Stalls wurde von den Schafen besetzt. Auch hier war ihre Bewegungsfreiheit durch ein Gitter eingeschränkt. Es teilte die Herde in zwei Gruppen.
Rechts befanden sich die älteren Schafe. An der linken Seite die jungen, die dem Lammalter entwachsen und vor dem letzten Osterfest noch nicht verkauft worden waren.
Paul blieb vor dem Gitter stehen und deutete auf die Rücken der jüngeren Tiere.
»Du kannst dir eines aussuchen.«
»Nein.« Joaquim schüttelte den Kopf. »Mach du es. Ich gehe wieder nach draußen.«
»Gut, aber nimm den Eimer mit.«
»Klar.«
Im Freien atmete Moreno tief die frische Luft ein, die keinen Vergleich zu der im Stall aushielt. Für einen Moment schloss er die Augen. Er spürte, dass er zitterte, aber er konnte es nicht ändern. Er musste seinen Weg gehen. Ein Zurück gab es nicht.
In seinem Rücken hörte er das Schreien eines Tieres, das der Schäfer ausgesucht hatte. Joaquim stellte den leeren Eimer ab und drehte sich um.
Paul hielt ein junges Schaf mit beiden Armen fest. Das Tier strampelte, aber es war nicht in der Lage, sich zu befreien. Sein Bauch und seine Kehle lagen frei.
Neben Joaquim blieb der Schäfer stehen und nickte ihm zu.
»Was jetzt passieren muss, ist einzig und allein deine Sache. Bist du bereit?«
»Ja.« Das Wort war nicht mehr als ein Krächzen.
»Stich in die Kehle, dann leidet es nicht.«
Moreno nickte krampfhaft. Seine Lippen hatte er dabei zusammengepresst. Er schaute noch mal genau hin, um sich zu vergewissern, wo er das Messer ansetzen musste.
Er zielte und stach zu!
Das Tier war im letzten Moment sehr ruhig geworden. Dann, als die Klinge in seiner Kehle steckte, schrie es auf, und diesen Schrei würde Joaquim nie vergessen. Doch der Schrei brach schnell wieder ab, und Moreno sah das Blut aus der Wunde in den Eimer fließen.
Er ließ den Arm mit der Stichwaffe sinken und schloss die Augen…
***
Nichts sehen und wenn möglich, auch nichts hören. Das war seine Devise, und er öffnete auch erst wieder die Augen, als Paul ihn ansprach.
»Du hast es geschafft. Das Tier ist ausgeblutet.«
Moreno hörte den dumpfen Aufprall. Der Schäfer hatte das tote Tier zu Boden fallen lassen. Es tat Joaquim in der Seele weh, es zu sehen, aber er musste den Weg weitergehen, den er einmal beschritten hatte.
Er schaute auf den Eimer, Fast bis zum Rand hatte das Blut des Tieres ihn gefüllt. Es war wichtig, das wusste nicht nur er, sondern auch alle Bewohner von Porté, denn er brauchte es.
Der Schäfer legte ihm eine Hand auf die rechte Schulter.
»Du hast es gut gemacht, und ich habe, das kann ich dir sagen, das Tier gern hergegeben. Ich will, dass sein Blut hilft, Menschenleben zu retten. Nur so können wir den Todesengel stoppen. Wenn er keinen Nachschub mehr bekommt, wenn man ihm keinen Einlass gewährt, dann wird er nie mehr einen Versuch wagen. Solange er es schafft, sich ein Kind zu holen, wird sich nichts verändern.«
»Ich weiß.«
Der Schäfer verzog das faltige Gesicht. »Manchmal«, sagte er, »kann auch die Bibel sehr grausam sein, wobei ich an das Alte Testament denke.«
Joaquim nickte nur. Er umfasste den Griff des Eimers, der mit Blut gefüllt war.
»Glück und Segen, mein Junge!«, rief ihm Paul noch nach. »Diesmal schaffen wir es. Da bin ich mir ganz sicher.«
Moreno drehte sich nicht um. Er winkte nur mit der freien Hand und ging zurück ins Dorf. In seinem Kopf wirbelten zahlreiche Gedanken. Er wusste, dass er genau das Richtige getan hatte, aber er konnte sich nicht darüber freuen.
Im Eimer dampfte das noch warme Blut. Er spürte die Wärme an seinen Fingern. Seine Füße steckten in Stiefeln, in deren Schäften die Beine der Hose verschwunden waren. Sein dunkles Haar hatte schon die ersten Strähnen bekommen. In dem sonnenbraunen Gesicht lagen die dunklen Augen tief in den Höhlen.
Moreno war ein kräftiger Mann, der den Ort bald wieder verlassen würde, um seinem Job nachzugehen. Er arbeitete als Maurer, und gebaut wurde nicht hier, sondern woanders. Wenn eben möglich besuchte er seine Familie an jedem Wochenende. Manchmal war er auch einen vollen Monat nicht zu Hause, dann lag die Baustelle zu weit weg. Für diese wichtige Zeit hier hatte er sich eine Woche Urlaub genommen, worüber die Familie sehr froh war.
Er hatte noch eine um zehn Jahre ältere Schwester. Die war mit ihrem Mann nach Kalifornien ausgewandert und kam höchstens alle zwei Jahre
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