155 - Kriminalfall Kaprun
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Der Münchner Journalist Hans Hofer verlässt am Morgen des ersten Prozesstages in Salzburg sein Hotel. Er wartet auf sein Taxi, das nicht kommt.
»Hallo, Herr Kollege, wollen Sie auch zum Prozess?«, ertönt es mit typischer Wiener Sprachfärbung hinter ihm. »Mein Taxi kommt gleich, ich nehme Sie mit.«
»Aus Wien?«, fragt Hofer. »Ich komme aus München.«
Der Wiener nickt. »Das wird ein Auflauf heute. Aus aller Welt sind sie gekommen.«
Das Taxi fährt vor. »Zum Kolpinghaus.« Sie überqueren die Salzach und erreichen den Stadtteil Itzling.
»Karl Kovac«, stellt sich der Wiener vor, der heute schwarze Jeans und dunkle Jacke trägt. »Einer von Wiens dienstältesten Gerichtsreportern. Hier in diesem Fall würde es mich wundern, wenn es Schuldige gäbe.« »Warum findet der Prozess in einem Kolpinghaus statt?«, fragt Hofer.
»Die Gerichtssäle sind viel zu klein, deshalb haben sie das Kolpinghaus gemietet. Heute kommen neben den 16 Angeklagten 70 Strafverteidiger und Opferanwälte, mehr als 50 Angehörige, einige Diplomaten aus Opferländern und 72 akkreditierte Kollegen, Fotografen und Kameraleute. Die passen in kein Salzburger Gericht, dafür haben sie den Großen Festsaal im Kolpinghaus gemietet. Da, wo sonst getanzt wird, hält sich jetzt Justitia die Augen zu. Und da, wo sonst die Tanzkapellen spielen, hat der Richter seine Bühne.«
Je mehr das Taxi sich dem Kolpinghaus nähert, umso stärker wird die Polizeipräsenz. Missmutig reiht sich der Fahrer in eine Fahrzeugschlange ein, die immer stockender vorankommt. Wägen,die zum Prozess wollen, müssen stoppen, weil wütende Anwohner Parkplätze suchen, obwohl überall Parkverbote verhängt sind und Polizisten sie mit energischen Armbewegungen zum Weiterfahren drängen.
Karl Kovac ist auch über die Sicherheitslage bestens informiert. »Die haben einen Riesenangst vor Anschlägen«, sagt er und weist auf Fußgänger hin, die von einer martialisch auftretenden Polizei angehalten werden und ihre Ausweise zeigen müssen. »Sogar das mobile Einsatzkommando und Sprengstoffsuchhunde haben sie angefordert. Doch richtig Angst haben vor allem die Angeklagten, die wollen auf keinen Fall mit den Hinterbliebenen zusammentreffen. Du glaubst nicht, was da los war. Mit allen Mitteln wollten die Verteidiger verhindern, dass die Eltern, Witwen und Angehörigen der Toten mit ihren Mandanten im gleichen Raum sind. Dem Richter steht sogar ein Fluchtweg mit Fahrstuhl in den Keller zur Verfügung, damit er sich in sein Büro zurückziehen kann, wenn die Hinterbliebenen mal laut werden sollten.«
Das Taxi hält, ein Weiterkommen ist nicht mehr möglich. Kovac und Hofer zahlen und gehen zu Fuß weiter. Immer mehr Polizei sichert den Bereich vor dem Kolpinghaus, mehrmals müssen die beiden ihre Presseausweise und Akkreditierungen vorzeigen, bis sie zum Haupteingang vorgelassen werden. Schadenfroh gehen sie an einigen Nobelkarossen von Anwälten vorbei und freuen sich, dass auch diese Herren die Kofferräume öffnen und die Akten ausräumen müssen und dabei ins Schwitzen kommen.
Unübersehbar sind die Übertragungswägen des ORF und der ausländischen Sender, die bereits am Vortag aufgebaut haben und deren Kabel in dicken Strängen ins Kolpinghaus führen. Vor dem Portal berichten einige Reporter in unterschiedlichsten Sprachen bereits live, während Kameras filmen, wie die Menschen in das Kolpinghaus strömen. Im Gebäude gibt es vor zwei Sicherheitsschleusen wieder Staus, und es dauert, bis sie über eine seitliche Treppe die oben gelegene Pressetribüne erreichen.
»Hallo, Karli«, wird Kovac begrüßt. Hofer setzt sich und blickt in den Saal hinunter. Der Richtertisch steht auf einer kleinen Bühne und ist mit weißen Tischtüchern bedeckt, die bis zum Boden reichen. Auf dem Tisch stapeln sich Akten, in der Mitte befindet sich ein großes Kreuz aus Kupfer mit zwei dazugehörigen Kerzen. Der Saal hat etwas provisorisches, wie ein Gerichtssaal wirkt er nicht.
Im Raum herrscht lautes Stimmengewirr. Gegenüber vom Richtertisch in den ersten Reihen sitzen einige Angeklagte bereits mit ihren Anwälten. Rechts davon ist der Tisch der Staatsanwältin, ebenfalls voller Akten. Quer dahinter und mit Blick auf den Richtertisch sitzen die Opferfamilien. Hier ist es ruhig, Eltern, die sich mittlerweile kennengelernt haben, begrüßen sich schweigend, einige umarmen sich. Ihre Gesichter sind teilweise apathisch. Immer wieder sehen sie zu den Angeklagten hinüber, deren Reihen
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