1550 - Die Frau aus der Knochengrube
hatte eine Pause eingelegt und stützte sich auf einem Axtstiel ab.
Gehört hatte er uns noch nicht. Erst als ich mich räusperte, drehte er sich um.
Eine klobige Gestalt, ein grobes Gesicht mit hervorstehenden Augen.
Der Mann überragte mich. Unter dem Hemd zeichneten sich Muskeln ab.
Er trug eine braune Lederweste und schaute uns nicht eben freundlich an.
Bevor wir etwas sagen konnten, übernahm er das Wort.
»Der Hof ist geschlossen.«
»Das sieht man«, sagte Suko. Er deutete auf den Berg von Holzkloben, die noch zerkleinert werden mussten. »Da liegt noch viel Arbeit vor dir.«
»Und? Willst du helfen?«
»Nein.«
»Dann haut wieder ab.«
»Bist du der Chef hier?«
»Ja.«
»Sonst ist keiner da?« Er hob die Schultern.
»Wie heißt du?«, fragte Suko. »Oliver. Und wer bist du?«
»Scotland Yard, falls du…«
»Ihr seid Bullen?«
»Hat etwa jemand von uns vier Beine?«
»Haha…«
»Und jetzt mal zur Sache«, sagte Suko. »Wir sind gekommen, um mit einer Frau namens Vanessa Brown zu sprechen. Kannst du uns sagen, wo wir sie finden?«
Er überlegte. Mit dem rechten Zeigefinger kratzte er sich dabei am Kopf.
»Kann sein, dass sie noch hier ist. Mit den Besitzern ist sie jedenfalls nicht gefahren.«
»Kennst du Vanessa gut?«
Oliver fing an zu grinsen. Sein Gesicht nahm dabei einen leicht debilen Ausdruck an.
»Sie ist irre. Tolles Weib. Geile Figur. Die würde ich gern mal zur…«
»Ich wollte nur wissen, ob wir sie hier finden können«, unterbrach Suko ihn.
Oliver schaute sich um. »Weg ist sie nicht.«
»Wie schön. Dann ist sie also hier?«
»Ich habe sie noch nicht gesehen.«
»Das habe ich auch nicht gefragt. Kannst du uns nicht einfach sagen, wo wir sie finden können?«
Er deutete zum Dach über dem Stall hinauf. »Ihr Zimmer ist oben. Aber ich weiß nicht, ob sie da ist.«
»Klar, das kann man von hier auch nicht sehen.«
»So meine ich das nicht.« Sein Gesicht zeigte einen ärgerlichen Ausdruck. »Sie kann auch im Stall sein.«
»Und der liegt unten?«
»Kar, die Pferde können ja nicht aus dem Fenster springen.« Er lachte über seinen eigenen Witz. »Soll ich ihr Bescheid sagen, dass sie Besuch bekommen hat?«
»Nein«, sagte Suko, »das übernehmen wir selbst.«
»Wie ihr wollt.« Er wischte über seine Stirn und hob danach die Axt an.
Wir setzten uns in Bewegung. Der Stall war nicht zu verfehlen und der Eingang ebenfalls nicht. Er bestand aus einer geschlossenen Doppeltür in der Mitte des Gebäudes. Man hatte sie dunkelgrün gestrichen.
»Was denkst du?«, fragte Suko.
»Erst mal nichts.«
»Ziemlich ruhig hier.«
»Zu ruhig?«, fragte ich.
»Wie man’s nimmt.«
Wir hatten vor der Tür angehalten. Es gab keinen Riegel, der sie verschlossen hätte. Dafür Griffe, an denen wir ziehen konnten. Suko probierte es als Erster.
Hinter uns hackte Oliver weiter. Ich hoffte, dass er sich von seiner Arbeit nicht abhalten ließ und uns nicht störte.
Der Stall nahm uns auf.
Der typische Geruch nach scharfem Pferdeurin wehte uns entgegen. Wir hörten jetzt auch Wiehern. Das klingt nicht gerade freundlich, dachte ich.
Ich schnupperte. Frisches Heu. Ein guter Duft.
Es sah alles normal aus. Die Boxen mit den geschlossenen Türen, kein Dung lag auf dem Boden, und niemand hätte auf die Idee kommen können, hier etwas Ungewöhnliches zu erleben.
Und doch war es so.
Es lag an mir, denn ich zuckte plötzlich zusammen, weil ich den Wärmestoß auf meiner Brust spürte.
Es war also doch nicht alles normal!
***
Vanessa Brown stand auf dem Schemel und hielt mit ihrer linken Hand noch immer die Schlinge fest wie einen Anker. Sie war bleich geworden und starrte dorthin, wo die Gestalt stand. Im Gesicht der jungen Frau malte sich Unglauben ab. Sie hatte den unheimlichen Besuch noch nicht verkraften können.
Die Schattenfrau bewegte sich nicht von der Stelle. Sie war da, aber sie schien nicht von dieser Welt zu sein, denn als Vanessa sie genauer anschaute, da stellte sie fest, dass die Gestalt durchsichtig war. Sie konnte nämlich die Wand hinter der Frau sehen.
»Wie - wie - kommst du…«
Die Schattenfrau schüttelte den Kopf. »Nichts fragen. Nur handeln.«
»Das wollte ich ja gerade.«
»Und ich möchte dich auf deinem Weg begleiten.«
Sie hatte wieder gesprochen, und Vanessa spürte, dass ihr beim Klang dieser Stimme wieder ein Schauer über den Rücken rann. Das war kein menschliches Organ. Es war der kratzige Klang aus einer anderen Welt.
Als würde die
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