1550 - Die Frau aus der Knochengrube
sich rächen und es noch mal versuchen wollte, wussten wir nicht. Wir mussten aufgrund unserer Erfahrungen davon ausgehen, dass sie es sich nicht gefallen lassen würde. Wir hatten ihren Plan durchkreuzt, auf den sie voll und ganz gesetzt hatte.
Was würde sie tun? Es noch mal versuchen?
»Kann ich denn jetzt gehen?«, fragte Vanessa.
»Wohin?«, wollte ich wissen.
»In meine Wohnung. Ich will allein sein.«
»Sie wohnen hier, nicht?«
»Ja.«
Ich fragte weiter: »Und warum wollen Sie allein bleiben? Was ist so spannend daran?«
»Ich muss es einfach haben.«
»Und die Schattenfrau? Was ist mit ihr? Werden Sie versuchen, wieder Kontakt mit ihr aufzunehmen?«
Vanessa zuckte zusammen, als hätte sie einen Schlag in den Nacken erhalten.
»Sie wird mich nicht mehr wollen. Sie wird enttäuscht von mir sein. Ich glaube auch, dass sie mich bestrafen wird. Ich habe sie betrogen.«
»Nein, das hast du nicht. Du hast genau das Richtige getan, Vanessa«, sagte Suko. »Ich meine nicht damit, dass du dir das Leben nehmen wolltest. Du hast jetzt das Richtige getan, indem du dich in dein altes Leben zurückgemeldet hast. Du musst dich von nun an den Dingen, die dich belasten, stellen. Dass es nicht einfach ist, weiß ich auch, aber es gibt professionelle Hilfe, und darum werden wir uns kümmern, Vanessa.«
»Ich will aber nicht.«
»Abwarten. Und ich denke, dass wir dich zunächst nicht allein lassen. Es hat keinen Sinn, wenn du versuchst, wieder in deine Wohnung zu gehen. Wirklich nicht.«
Sie nagte auf ihrer Unterlippe. Dann fuhr sie mit den Fingern durch ihr Haar. »Meine Tiere brauchen mich. Ich habe hier die Verantwortung. Ich kann sie nicht allein lassen.«
»Sie wären beinahe für immer allein geblieben«, sagte ich. »Denken Sie daran.«
»Das ist etwas anderes.«
Ich konnte ihrer Logik nicht folgen. Ich hatte mich entschlossen, sie nicht mehr allein zu lassen. Vanessa Brown musste unter Beobachtung bleiben.
»Sie sollten einige Sachen einpacken«, schlug Suko vor, der der gleichen Meinung war wie ich.
Vanessa erschrak. Beinahe wäre sie aufgestanden. »Und dann? Was geschieht dann mit mir?«
»Das ist ganz einfach«, erwiderte ich. »Mein Kollege und ich werden dich in Sicherheit bringen.«
Es war ein Satz gewesen, der sie ins Grübeln gebracht hatte, und sie fragte: »Wer sind Sie eigentlich?«
»Scotland Yard.«
»Was?«
Suko nickte. »So ist das.« Er lächelte. »Es gibt noch immer Menschen, die froh sind, wenn sie unter dem Schutz der Polizei stehen. Das solltest du auch sein.«
Als sie lachte, gingen wir im ersten Moment davon aus, dass wir gewonnen hatten. Doch das traf leider nicht zu, denn sie blieb bei ihrer Meinung.
»Nein, niemand kann mich schützen. Die Schattenfrau ist zu mächtig, glaubt mir das. Man kann sie nicht besiegen.«
»Wir haben sie zumindest schon mal vertrieben«, sagte ich. »Sie war in deiner Nähe und ist geflüchtet, als wir kamen.«
Stimmt das? Die Frage stand in ihrem Blick zu lesen. Da Suko ebenfalls zustimmte, musste sie es wohl glauben.
»Soll ich es dir beweisen?«, fragte ich.
Dazu kam es nicht mehr, denn es geschah etwas anderes.
Wir hörten das Geräusch von Schritten, und plötzlich waren wir nicht mehr allein.
Oliver, der Holzhacker, hatte seine Arbeit aufgegeben und war auf dem Weg zu uns. Seine Axt hatte er mitgenommen. Er hielt sie mit einer Hand fest. Die Schneide wies nach unten und schleifte dabei über den Boden.
Er blieb stehen, als er nur noch drei Schritte von uns entfernt war.
Vanessa hob grüßend die rechte Hand. »Hallo, Oliver.«
Er nickte, »Hast du das Holz gehackt?«
»Nicht alles.«
Da wir schon vorher mit ihm gesprochen hatten und auch seine Stimme kannten, wunderten wir uns jetzt über den Klang. Der Mann hatte recht flach und tonlos gesprochen. In seinem Gesicht sahen wir auch keine Regung, was uns schon wunderte.
»Was ist mit Ihnen?«, fragte ich.
»Nichts, gar nichts…«
»Du bist so anders«, sagte Suko.
»Ich will zu ihr.« Er deutete auf Vanessa.
»Und was möchtest du von ihr?«
»Ich muss mit ihr reden.«
»Lassen Sie ihn«, sagte Vanessa. »Oliver und ich sind Freunde. Wir kommen gut miteinander aus.«
»Ja, das kommen wir«, bestätigte Oliver und fügte ein mehrmaliges Nicken hinzu.
Er gefiel mir nicht. Er verhielt sich so anders. Auch Suko war misstrauisch.
Das sah ich daran, wie er Oliver anschaute.
»Sie können mit ihr reden«, sagte ich, »bitte…«
»Alleine.«
»Ach, warum das
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