1550 - Die Frau aus der Knochengrube
unterwegs geschrieben hatte. Und das traf tatsächlich zu, denn so lautete die nächste Botschaft.
Ich sitze in einem Zug.
Wieder eine Überraschung, die uns nachdenken ließ. Es war wie ein weiteres Rätsel. Wenn dieser Bernie in einem Zug saß, dann war er irgendwohin unterwegs.
»Was soll ich jetzt fragen?«
»Erkundigen Sie sich nach den anderen, Vanessa. Es bleiben ja noch zwei Namen,«
»Ja, schon.«
»Dann los.«
Sie schrieb wieder eine Mail, und wir warteten angespannt auf Bernies Antwort.
Diesmal ließ er sich Zeit. Wahrscheinlich musste er noch nachforschen, um etwas herauszufinden.
Es verging eine Minute, eine zweite, und ich merkte, dass es mir zu warm wurde. Deshalb öffnete ich das schräge Fenster und schaute nach draußen. Ich blickte gegen ein flaches Dach, auf dem es keine Bewegung gab. Nur die Wolken schienen noch weiter nach unten gesunken zu sein. Der Wolkenhimmel sah aus wie eine Platte.
»Eine Nachricht, John!«
Ich war schnell wieder bei den beiden, und jetzt war der Text schon ausführlicher.
Gemeinsam lasen wir ihn und erfuhren, dass drei junge Männer auf dem Weg zu einem Ort waren, den die Schattenfrau bestimmt hatte.
Es war die Knochengrube.
Suko und ich schauten uns an, und Suko schlug leicht gegen seine Stirn.
»Das hätten wir uns auch denken können.«
»Ja, nachher ist man immer schlauer.«
»Das ist ihre Heimat, John«, murmelte Suko. »Da fühlte sie sich stark.«
»Du sagst es, Suko.«
Wir wussten Bescheid. Vanessa nicht, denn sie schaute uns an und schüttelte den Kopf.
»Kennen Sie die Knochengrube?«, fragte ich.
»Nein.«
»Wirklich nie gehört?«
»Wenn ich es doch sage.«
»Sie befindet sich am Stadtrand von London, und sie ist wohl die Heimat der Schattenfrau. Dahin hat sie Ihre restlichen drei Freunde bestellt. Alles klar.«
»Aber warum hat sie das nicht bei mir versucht?«
Ich hob die Schultern. »Wir können nur raten, Vanessa. Es kann durchaus sein, dass die Schattenfrau ihre Pläne geändert hat, weil etwas schiefgegangen ist.«
»Sie meinen die Sache im Stall?«
»Genau die. Ihr Suizid hat nicht geklappt. Wahrscheinlich der Ihrer Freunde auch nicht, falls man sie dazu treiben wollte. Jetzt bleibt eben nur die Knochengrube.«
»Und dort waren Sie schon?«
»Ja.«
Vanessa schauderte vor ihrer nächsten Frage. »Wie - wie - hat es denn dort ausgesehen?«
Ich winkte ab. »Es ist nicht eben ein Ort, um dort eine Party zu veranstalten. Wie der Name schon sagt, es ist eine mit Knochen gefüllte Grube.«
»Menschenknochen?«, hauchte sie.
»Ja, leider.«
»Und woher stammen sie?«
»Wenn wir das wüssten, ginge es uns besser. Leider haben wir es bis jetzt noch nicht herausfinden können.«
»Und was sollen meine Freunde dort?«
»Sterben.« Ich hatte die Antwort klar und deutlich gegeben. So klar, dass Vanessa zusammenzuckte. Dieses eine Wort schien seine Faszination für sie verloren zu haben. Sie nahm es jetzt hin, wie es wirklich war. Als einen schlimmen Begriff.
»Sie wollen dorthin, nicht wahr?«
»Wollen?« Ich lachte. »Wir müssen, Vanessa. Es ist unsere einzige Chance, diese Unperson, die auf einer anderen Ebene existiert, zu stellen und zu vernichten.«
Die junge Frau bewegte sich unbehaglich auf ihrem Stuhl. Mal blickte sie auf den Bildschirm, dann schaute sie uns an, und automatisch öffneten sich ihre Lippen zu einer Frage.
»Was geschieht jetzt mit mir? Wie soll ich mich verhalten? Können Sie mir das sagen?«
»Wir werden Sie nicht aus den Augen lassen«, erklärte Suko.
»Dann wollen Sie mich mitnehmen?«
»Ja, das wollen wir.« Sie stand halb auf und flüsterte: »Zu dieser Knochengrube?«
»So ist es.«
Vanessa war erst mal still, was ihr niemand verdenken konnte. Es war nicht leicht für sie, sich an den Gedanken zu gewöhnen, vor einer mit Menschenknochen gefüllten Grube stehen zu müssen, und sie fragte: »Muss ich da wirklich mit?«
Ich sah sie direkt an. »Ja, denn wir dürfen Sie nicht aus den Augen lassen.«
»Und wenn ich hier im Haus bleibe?«
»Nein, das wäre zu gefährlich. Diese Schattenfrau würde es merken. Sie wären ihr ausgeliefert. Im Moment haben Sie Schutz. Das wird sie gemerkt haben. Deshalb hat sie sich an die anderen aus der Clique gehalten. Sie hatten den Schutz nicht, und sie sind der Schattenfrau auf den Leim gegangen.«
Vanessa war nicht dumm. »Ja«, sagte sie. »Das kann ich akzeptieren. Es ist wirklich alles anders geworden in der letzten Stunde. Ich weiß nicht mehr, was
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