1550 - Die Frau aus der Knochengrube
wie Vanessa überhaupt Trost spenden konnte.
»Bitte, du bist nicht allein. Daran solltest du denken. Wir sind bei dir und werden nicht zulassen, dass die Schattenfrau dich holt.«
Sie hatte mich verstanden und nickte. Mehr tat sie nicht. Dann wollte sie nicht mehr stehen bleiben und ging mit kleinen Schritten auf den Rand der Grube zu, begleitet von Suko und mir.
Sie blickte uns nicht an. Sie war voll und ganz auf sich konzentriert.
Wir folgten ihr bis zum Rand der Grube und hielten dort an. Das Gelände war für uns nicht neu, ganz im Gegensatz zu Vanessa, die sich erst umschauen musste.
Sie zeigte dabei keine Reaktion.
Suko und ich rahmten sie ein, und es war für uns nicht zu sehen, welche Emotionen sie durchtobten. Wir gaben ihr die Zeit und die Ruhe, um die mit Skeletten gefüllte Grube genau zu betrachten. Das wie geputzt aussehende Gebein schimmerte an verschiedenen Stellen. Die Scheinwerfer waren nicht eingeschaltet, und deshalb verging eine gewisse Zeit, bis Suko die Veränderung als Erster entdeckte.
»Da sind Menschen«, sagte er leise. Er streckte den Arm aus und wies auf eine bestimmte Stelle.
Er hatte sich nicht geirrt. Drei Menschen hoben sich zwischen den Skeletten ab, und das hatte auch Vanessa gesehen, denn sie sagte mit Flüsterstimme: »Es sind Bernie, Kevin und Pat.«
Ihre Worte sorgten dafür, dass ich vom Rand der Knochengrube zurückwich.
Dabei erklärte ich Suko, dass ich die Scheinwerfer einschalten wollte.
»Gut, John. Ich bleibe bei Vanessa.«
Jetzt war es von Vorteil, dass ich mich hier auskannte. Ich lief schnell und geduckt zu dem Kasten am Rande der Grube hinüber.
Noch auf dem Weg dorthin erreichte mich der Ruf, den Vanessa ausgestoßen hatte.
»Sie ist da!«
Ich stoppte. Das Licht hatte noch Zeit. Wenn Vanessa die Schattenfrau entdeckt hatte, würde auch ich sie sehen. Aus meiner Perspektive schaute ich diagonal über das Knochenfeld hinweg. Ich hatte mir den Ort gemerkt, wo die drei jungen Männer standen.
Sie waren noch immer da.
Doch in ihrer Umgebung hatte sich etwas verändert. Nicht weit von ihnen entfernt erhob sich jemand. Eine aus der Entfernung farblos aussehende Gestalt, von der ich nicht sah, ob sie nun ein Geist war oder ein menschliches Wesen.
In diesem Moment überkam mich eine leichte Furcht, nicht mehr rechtzeitig eingreifen zu können. Eine Gestalt wie sie besaß die Macht, schnell und effektiv zu handeln. Wir befanden uns recht weit weg, und es würde eine Weile dauern, bis wir die Schattenfrau erreicht hatten.
Aber wir konnten sie überraschen.
Meine Überlegungen hatten nur Sekunden gedauert. Dann handelte ich, und das veränderte innerhalb kürzester Zeit alles.
Ich hatte den Kasten erreicht, riss die Tür auf und betätigte die Schalter, wie es schon Braddock, der Baustellenleiter, getan hatte.
Plötzlich flammten die Scheinwerfer auf. Ihre breiten Strahlen erreichten das Gräberfeld, und die dort liegenden Skelette bekamen ein anderes Aussehen. Sie sahen jetzt noch unheimlicher aus. Schatten und Licht sorgten dafür, dass sie mir vorkamen wie das Bühnenbild zu einem mörderischen Drama. Und das Licht erreichte auch die Schattenfrau und riss sie aus der Dunkelheit hervor wie eine Statue.
Ich sah weiterhin, dass den drei jungen Leute noch nichts geschehen war, und das ließ mich hoffen.
Ich rannte auf Suko zu. Wir mussten in die Knochengrube und dann verdammt schnell sein…
***
Darauf hatten die drei gewartet!
Bisher hatten sie die Schattenfrau nur auf dem Monitor gesehen, wo sie ihnen ihre Botschaften verkündet hatte.
Das sah jetzt anders aus.
Sie stand hier in echt.
Sie war gekommen, um ihr Versprechen zu erfüllen.
Keiner der drei Freunde bewegte sich. Zudem spürten sie alle den kalten Hauch, der sie gestreift hatte. Sie hatten das Gefühl, als würde sich jeder Zentimeter ihrer Haut zusammenziehen. Ihre Lippen öffneten sich, ohne dass sie ein Wort hervorbrachten. Sie atmeten zwar, aber das merkten sie nicht. Zu stark waren sie in den Bann der Frau aus der Knochengrube geraten, die nur auf die jungen Männer fixiert war.
»Das ist es«, flüsterte Kevin, »das ist unser Ende.«
Bernie widersprach. »Nein, es ist der Anfang. Es ist nicht das Ende.«
»Spürt ihr die Kälte?«, flüsterte Pat Spencer. »Sie - sie - ist so anders.«
»Sie kommt aus dem Totenreich.«
»Genau, Bernie, und da werden wir auch bald sein.«
Sie zuckten zusammen, als sie die helle Stimme in ihren Köpfen vernahmen.
Sie war nur schwer zu
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