1550 - Die neue Bestimmung
und unsere Gedanken zu sortieren. Sollen wir alles, was uns dabei in den Sinn kommt, lauthals hinausposaunen? Wem würde das nützen?"
„Du bist verunsichert", bemerkte er gedehnt. „Es kommt mir sogar so vor, als hättest du Angst."
„Was du nicht alles glaubst..."
„Dorina, was habt ihr da draußen gefunden? Bitte, sage es mir! Ich frage nicht aus Neugier, das müßtest du doch wissen!"
„Warum dann?"
Keine Antwort. Sie beobachtete ihn und entdeckte plötzlich etwas, womit sie niemals gerechnet hätte. „Du bist es, der Angst hat!" stellte sie fest. „Das ist richtig", gab er zu. „Und ich fürchte, daß ich auch allen Grund dazu habe. Eben darum wollte ich mit dir sprechen. Erinnerst du dich an den Zwischenfall mit Virram?"
Eine völlig überflüssige Frage, denn sie hatte diese Sache niemals vergessen können. Gerade darum hatte Dorina Vaccer es stets vermieden, darüber zu sprechen.
Vor allem Garyo gegenüber. „Muß das sein?" fragte sie unwillig. „Ich habe genug eigene Sorgen am Hals. Müssen wir das alles wieder aufwärmen?"
„Virram war außerordentlich begabt", fuhr Garyo unbeirrbar fort. „Niemand weiß besser als ich, wie begabt er war, denn ich habe ihn schließlich jahrelang unterrichtet. Und doch mußte ich Virram die Möglichkeit nehmen, seine Fähigkeiten anzuwenden. Wenn es nötig wäre - könntest du diese Operation auch durchführen?"
Dorina Vaccer sah an ihm vorbei auf einen Mi'inah, der zwischen den Blüten herumhüpfte, die im leichten Wind vor dem Fenster schwankten. „Dies ist nicht gerade mein Lieblingsthema", bemerkte sie. „Das weiß ich", erwiderte er nüchtern. „Könntest du es?"
„Es ist ein erbärmlicher Mißbrauch all dessen, was wir Linguiden uns im Lauf vieler Generationen erarbeitet haben!" sagte sie heftig. „Ich will nichts damit zu tun haben!"
Seine Antwort erschreckte sie: „Ich habe dich nicht danach gefragt, ob du dazu bereit wärst, es zu tun, sondern ob du es tun könntest. Ich weiß, daß es selbst unter euch Friedensstifter nur wenige gibt, die diese Kunst beherrschen. Falls es überhaupt einer kann. Ich möchte sichergehen, daß du zu den Ausnahmen gehörst."
„Eine Kunst würde ich es nicht gerade nennen!"
„Es könnte eine werden", behauptete Garyo Kaymar nüchtern. „Wie kommst du darauf?" fragte sie erschrocken. „Kannst du dir das nicht denken?"
Sie starrte ihn sprachlos an. „Das da", sagte er und deutete auf das Terminal, „waren Berichte, die überall zugänglich sind. Es gibt aber noch andere Nachrichten.
Sie werden unter der Hand weitergegeben, von Schlichter zu Schlichter. Kannst du dir denken, woher sie kommen?"
Sie konnte sehr wohl, aber sie würde sich hüten, es auszusprechen. „Vom Planeten Verehost", sagte Garyo, und plötzlich hatte seine Stimme wieder jenen Klang, an den sie sich noch gut genug erinnerte: So hatte er mit Virram gesprochen.
Dorina Vaccer fühlte sich plötzlich nicht mehr sehr wohl in ihrer Haut. „Ich kenne Bransor Manella", fuhr Garyo bitter fort. „Und ich habe auch seinen Lehrer gekannt. Sie standen außerhalb der Regeln, und wir alle haben das akzeptiert. Aber jetzt..."
Sie konnte sich vorstellen, wie ihm zumute war.
Virram war trotz allem nur ein Schüler gewesen. Seine Ideen, so gefährlich sie auch klingen mochten, hätten niemanden dazu gebracht, die Regeln zu brechen - bis er selbst versucht hatte, andere Schüler auf seine Seite zu ziehen und seine Überlegenheit durch ein Experiment zu beweisen.
Ein Experiment, das ein schreckliches Ende genommen hatte.
Daraufhin war Garyo Kaymar gezwungen gewesen, seinen eigenen Schüler einer Prozedur zu unterziehen, von der die meisten Linguiden noch nicht einmal wußten, daß es sie gab.
Und wenn sie es gewußt hätten, wären sie entsetzt gewesen.
Heute mußte der Schlichter sich fragen, ob er damals nicht - um mit den Terranern zu reden - mit Kanonen auf Spatzen geschossen hatte.
Was Virram damals getan hatte, war trotz der schlimmen Begleiterscheinungen harmlos im Vergleich zu dem, was jetzt auf sie zukam - ganz offiziell, in Form eines Auftrags.
Und Garyo Kaymar wußte das.
Er kannte sicher nicht alle Einzelheiten, aber er war intelligent genug, um sich den Rest zusammenzureimen. „Was glaubst du, was ich tun soll?" fragte Dorina Vaccer bestürzt, als ihr klar wurde, worauf seine Fragen hinausliefen. „Übergeschnappte Friedensstifter kurieren, auf dieselbe Weise, wie du es damals bei Virram getan hast?"
Er schwieg, aber sie
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