1553 - Der Feind aus dem Dunkeln
Sie begriff nur nicht, warum er sich mit der Rückkehr so lange Zeit ließ. Das war ungewöhnlich, und Sophie machte sich ihre Gedanken.
Sie wollte nicht das Schlimmste annehmen. Zwar konnte die Kapelle niemand als ein Bollwerk bezeichnen, doch sie glaubte nicht daran, dass El Shadd sie betreten würde. Das war nicht seine Welt. Was sich dort befand, stand ihm als Feind gegenüber. Er würde sich den Platz, an dem er auf seinen Feind lauern wollte, woanders suchen.
Da sich Sophies Augen inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, war es ihr möglich, auch Einzelheiten zu erkennen. So konnte sie den Verlauf der Hecken verfolgen, die nicht weit vom Eingang der Kapelle entfernt aufhörten.
Und deren Tür bewegte sich.
Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Endlich kehrte ihr Mann zurück.
Sie sah seine Gestalt, die sich von der Schwelle abhob, und wartete darauf, dass er den ersten Schritt in Richtung Kloster ging.
Das tat er nicht.
Es lag noch kein Grund zur Beunruhigung vor, doch als weitere Sekunden verstrichen und sich noch immer nichts bei Godwin tat, da wurde Sophie misstrauisch.
Ihr Blick haftete auf Godwin, und sie stellte fest, dass er sich immer noch nicht bewegte. Er schaute in den Garten hinein, als gäbe es dort ein Hindernis, das er nicht überwinden konnte.
Das war schon seltsam.
Misstrauen und ein bedrückendes Gefühl stiegen in ihr hoch.
Sophie hatte keine Ahnung, warum sich ihr Mann so verhielt. Freiwillig tat er es sicherlich nicht.
Und dann geschah doch etwas. Aber Godwin tat genau das Gegenteil von dem, was sie von ihm erwartet hätte. Er ging wieder zurück in die Kapelle, und das nicht etwa langsam, sondern mit ein paar schnellen Schritten, sodass es schon nach einer Flucht aussah.
Dann fiel die Tür zu!
Sophie Blanc stand hinter der Scheibe, starrte in den Garten und schüttelte den Kopf. Es war zwar keine außerordentliche Aktion gewesen, doch sie kannte das Motiv nicht, das ihn dazu veranlasst hatte. Was war dort unten im Garten geschehen? Es war doch keine Gefahr zu erkennen.
Für mich nicht, dachte sie. Aber für ihn. Etwas, das sich in seiner Nähe befand und das sie nicht sehen konnte, weil es dort unten zu dunkel war.
Sophie war beunruhigt. Sie überlegte, was sie tun sollte. Dass Godwins Verhalten mehr als ungewöhnlich war, das stand für sie fest. Auf der anderen Seite wusste sie auch, dass der Begriff ungewöhnlich nicht zutraf. Sie fand schnell einen anderen, der ihr nicht gefallen konnte.
Ängstlich!
Ja, das war es. Ängstlich, und nichts anderes. Ihr Gesicht verzerrte sich. Sie wollte auf keinen Fall länger hier am Fenster stehen und nur zuschauen. Sie musste etwas unternehmen, und das könnte sie nicht, wenn sie im Haus blieb.
Also raus und nachschauen.
Einen letzten Blick warf sie noch in den Garten und sah, dass sich dort nichts verändert hatte. Die Tür zur Kapelle blieb geschlossen. Ihr Mann zeigte sich nicht.
Er hatte sich versteckt. Irgendetwas musste ihn dazu gezwungen haben. Eine andere Erklärung gab es für sie nicht.
Sophie handelte schnell und zielsicher. Sie holte ihre Steppjacke, streifte sie über und lief mit schnellen Schritten aus dem Kloster.
Die Angst um ihren Mann wurde übermächtig. Zwischen den dicken Mauern des Klosters und der Kapelle musste es etwas geben, das ihn so ungewöhnlich hatte reagieren lassen.
Sophie Blanc spürte die Kälte nicht. Sie war einfach zu angespannt und hoch konzentriert. Allerdings musste sie sich entscheiden, welchen Weg sie nehmen wollte. Sie hätte einfach nur geradeaus zu laufen brauchen, aber das wollte sie nicht.
Der direkte Weg war ihr nicht sicher genug. Sie konnte auch versuchen, in Deckung der Hecken zur Kapelle zu gelangen. Dabei würde sie sogar ziemlich dicht bis an das kleine Gebäude herankommen.
Immer wieder blickte sie sich um. Es gab keinen Feind, der auf sie lauerte. Und doch musste etwas vorhanden sein, das sie leider nicht sah.
Es geschah, als sie etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte. Und es war ein Vorgang, den sie überhaupt nicht erwartet hätte.
Es bewegte sich etwas auf dem Boden.
Sie blieb stehen.
Zuerst dachte sie an ein Tier, das sich hierher verlaufen hatte.
Es traf nicht zu. Das war kein Tier, das war etwas anderes, das sich auf dem Boden ausbreitete und noch dunkler war als die Umgebung.
Sicherheitshalber blieb Sophie stehen, und sie fühlte in ihrer Magengegend ein Kribbeln, das in ein Stechen überging. Das ungute Gefühl in ihr verstärkte sich.
Weitere Kostenlose Bücher