156 - In den Katakomben von St. George
seine Nase wieder mit dem Inhalationsstift. Das schien für ihn schon zur lieben Gewohnheit geworden zu sein.
»Das ist Mr. Silver«, sagte ich, auf den Hünen weisend.
»Sehr erfreut«, sagte William Stack.
»Meinerseits«, gab Mr. Silver zurück.
»Wieder keine Spuren?« fragte ich, während ich mich im Raum umsah.
»Spuren genug«, knirschte der Inspektor. »Aber leider keine, die uns zum Täter führen.« Er erzählte uns, was er über den Arzt in Erfahrung gebracht hatte.
»Wer hat die Leiche gefunden?« wollte ich wissen.
»Ein Mädchen, Vielleicht war es auch eine junge Frau«, sagte William Stack.
»Sie wissen ihren Namen nicht?«
Der Inspektor schüttelte den Kopf. »Sie wählte den Polizeinotruf und schrie, weinte und schluchzte so viel, daß der Beamte kaum etwas verstand. Wir können von Glück reden, daß wir wenigstens erfuhren, wie das Opfer heißt. Mit der Anruferin war nicht zu reden. Sie überschüttete unseren Kollegen mit einem Wortschwall und hängte ein, ehe er sie bitten konnte, das nicht zu tun.«
Mr. Silver trennte sich von uns. Er ging durch den Raum und versuchte auf seine Weise, Spuren zu finden. Er sah sich auch den Toten sehr genau an. Vielleicht hoffte er durch die Art der Verletzungen zu brauchbaren Schlüssen zu kommen.
Das Ergebnis war entmutigend.
Der Ex-Dämon fand nichts heraus, was wir noch nicht wußten.
Und es gab bereits drei Opfer!
***
Frank Esslin betrat eine verrauchte Hafenbar. Draußen war die Sicht klar. Der berüchtigte Londoner Nebel fand hier drinnen statt. Der Söldner tier Hölle wühlte sich durch die blaugrauen Schwaden. Er war hier mit seinem Begleiter Kayba verabredet, doch der Lavadämon war noch nicht da.
An den Tischen saßen ein paar hundert Jahre Zuchthaus - Einbrecher, Diebe, Räuber, Zuhälter. Auch Nutten bevölkerten das Lokal, grell schminkte Asphaltpflanzen mit kurzen Miniröcken und tief ausgeschnittenen Pullis.
Frank Esslin kletterte auf einen Hocker am Tresen und verlangte Whisky.
»Hi«, sagte neben ihm eine schwarzhaarige Biene. »Ich bin Hazel.«
»Wie schön für dich«, erwiderte der Söldner der Hölle.
»Wenn du mit mir anstoßen möchtest, brauchst du einen Drink«, sagte die Nutte und griff nach seinem Glas.
Seine Finger schnappten zu wie eine Bärenfalle. Hazel verzog schmerzlich das Gesicht.
»Laß das Glas los!« knurrte Frank Esslin.
»Au!« protestierte das Mädchen. »Verdammt, bist du verrückt? Du tust mir weh!«
»Genau das ist meine Absicht. Wenn du einen Drink willst, kauf dir gefälligst selbst einen.«
Esslin drückte noch fester zu, und in seinen Augen erschien ein Flackern, das dem Mädchen Angst machte.
Sie ließ sein Glas los und glitt vom Hocker. Ihr Blick war vernichtend. »Mächtig stark bist du, du Scheißer. Spielst dich auf, als wärst du hier der King. Bei ’nem Mädchen den starken Mann markieren, ist keine Kunst. Wir wollen doch mal sehen, wie stark du wirklich bist, wenn dir ’n richtiger Schläger die Fresse poliert.«
»Verschwinde!« sagte Esslin gelangweilt. »Laß dich nicht mehr blicken, solange ich hier bin, sonst drehe ich dir deinen dünnen Hals um.«
Hazel maß ihn von Kopf bis Fuß. »Ich sehe dich so genau an, damit ich hinterher weiß, wie du in einem Stück ausgesehen hast. Es wird dir gleich sehr leid tun, so unfreundlich gewesen zu sein. Einen Drink kann man verschmerzen. Das, was nun auf dich zukommt, bestimmt nicht.«
»Abgang!« sagte Frank Esslin und drehte ihr den Rücken zu.
»Drecksack!« machte sich Hazel noch Luft, ehe sie ging.
Aber sie ging nicht weit, bloß ins Hinterzimmer. Dort verspielte ihr Zuhälter das Geld, das sie anschaffte. Er war ein breitschultriger Bursche mit eingeschlagenem Nasenbein und Blumenkohlohren. Seine Lippen waren wulstig, und an seinem linken Ohrläppchen baumelte ein silbernes Kreuz. Das Hemd war bis zum Nabel offen, eine dichte Wolle wucherte auf seiner voluminösen Brust mit den harten Muskeln.
»Bodo«, flötete Hazel.
»Hau ab! Ich hab’ jetzt keine Zeit für dich!« antwortete Bodo unwirsch.
»Draußen ist einer, dem mußt du Bescheid stoßen. Er wollte mir den Arm brechen.«
Bodo warf die Karten auf den Tisch. »Was?« Brutalität funkelte in seinen Augen. Er liebte es, wenn das Geschäft reibungslos ablief, wenn Hazel ihre Freier hatte und bei ihm die Kohle ablieferte. Das machte ihn zufrieden. Unregelmäßigkeiten haßte er. Alles, was seiner Bequemlichkeit abträglich war, ärgerte ihn, und wenn er sich ärgerte,
Weitere Kostenlose Bücher