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1572 - Das Ritual

1572 - Das Ritual

Titel: 1572 - Das Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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bewunderte sich. Er war der perfekte Narziss. Er brauchte es, um das Negative des Tages vergessen zu können. Erst wenn er sich im Spiegel der Wahrheit sah, war er zufrieden und glücklich, denn der Spiegel log nicht.
    Er stand auf.
    Lambert war groß, größer als die meisten Menschen. Breite Schultern, ein muskulöser Oberkörper und ein Kopf mit blonden Haaren.
    Noch zeigte ihm der Spiegel nicht das, was er gern sehen wollte. Er musste näher heran, um sich besser erkennen zu können.
    »Jaaa…«, stöhnte er. »Ja, das bin ich.«
    Ein helles Kichern drang aus seinem Mund. Dann flüsterte er: »Ich bin ein ER, ich bin eine SIE, ich bin ein ES.«
    Sein Gesicht zeigte noch immer die harten Züge eines Mannes, aber sein Oberkörper hatte sich verändert. Ihm waren Brüste gewachsen, wie sie eigentlich nur eine Frau haben konnte.
    »Ich bin es. Ich bin alles auf einmal. Ich liebe mich, und ich habe die Kraft, alles weiterzugeben. Ich bin perfekt. In mir steckt der Mann, in mir steckt die Frau, und in mir steckt auch das Neutrale. Ich bin…«, er lachte und verbeugte sich dabei vor seinem Spiegelbild, »… Mensch und Dämon.«
    Er trat noch näher an den Spiegel heran. Mit beiden Händen strich er an seinem Körper hinab und fühlte, dass er sich abermals verändert hatte und er jetzt ein geschlechtsloses Wesen war. Nichts erinnerte an eine Frau, aber es erinnerte auch nichts an einen Mann. Das war sein ES.
    Er lachte sich an. Er rieb die Handflächen gegeneinander. Eine tiefe Freude steckte in ihm, die jedoch schlagartig verschwand. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer hasserfüllten Grimasse.
    Plötzlich war ihm wieder dieser blonde Mensch in den Sinn gekommen.
    Der Mann, vor dem er Angst gehabt hatte. Der etwas an sich hatte, was gefährlich für ihn war.
    Lambert nahm sich vor, ihn zu finden. Es konnte nicht zwei Menschen dieser unterschiedlichen Art auf der Welt geben. Einer musste vernichtet werden, und das war der Blonde.
    Lambert streckte seine Hand aus. Er hatte sie zur Faust geballt.
    »Ich nehme den Kampf auf«, flüsterte er…
    ***
    Wir gingen alle davon aus, dass dieser Paul Küster ein wichtiger Zeuge war.
    Auf einem Stadtplan, der an einer Laterne befestigt war und unter Glas hing, hatten wir die Straße schnell gefunden. Wir mussten aus Rottach-Egern hinaus und in Richtung Süden fahren, dem kleinen Ort Kreuth entgegen. Die Straße lag abseits der Hauptroute, die von zahlreichen Touristenautos befahren wurde, weil sie zur nicht weit entfernten österreichischen Grenze führte.
    Langsam rollten wir durch ein nettes Wohnviertel. Hier waren auch die neuen Häuser im bayerischen Stil errichtet. Vor den Fenstern und den Baikonen hingen die herrlichsten Geranien in ihrer vollen Blüte.
    Beinahe hätten wir die Straße übersehen, weil ihre Einfahrt und das Schild von einem parkenden Getränkewagen verdeckt wurden. Im letzten Augenblick hatte Dagmar es entdeckt.
    Harry bog nach rechts ab. Die Straße war eng und mit einigen Verkehrshindernissen gespickt. Er musste schon behutsam lenken und deutete dabei zur rechten Seite hin.
    »Da muss das Haus gleich auftauchen.«
    Er behielt recht. Es war ein etwas älteres Gebäude. Anderthalb Etagen hoch. Das Holz war nicht mehr so hell wie bei den anderen Häusern in der Nähe. Über die gesamte erste Etage zog sich ein breiter Balkon hin.
    Auch er war mit Geranien geschmückt, die mir allerdings einen müden Eindruck machten und nach Wasser zu lechzen schienen.
    Einen freien Parkplatz fanden wir ein Stück weiter. Beim Aussteigen sagte Dagmar zu mir: »Ich weiß nicht recht, John, aber ich habe so ein komisches Gefühl.«
    »Warum?«
    »Keine Ahnung. Als läge hier etwas in der Luft.«
    Das lag es tatsächlich. Aber nur der Duft der Sommerblumen.
    Wir gingen die paar Schritte bis zu unserem Ziel zurück und blieben vor dem Haus stehen.
    Hätte man mich nach einem ersten Eindruck gefragt, ich hätte behauptet, dass niemand zu Hause war. Da stand kein Fenster offen, und das gesamte Haus machte auf mich keinen sehr einladenden Eindruck. Das konnte falsch sein, aber es war nun mal so: »Sieht nicht so aus, als wäre Paul Köster zu Hause«, meinte auch Harry Stahl.
    »Ich sehe erst mal nach.«
    Man konnte neben dem Haus hergehen und würde sicherlich in einem Garten landen. Ich schritt über einen Plattenweg, wich einem zusammengerollten Schlauch aus, umging auch zwei leere Gießkannen und schaute dann in einen Garten, der eigentlich nur aus einer Wiese bestand.
    Von

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