1574 - Töte mich, dunkler Spiegel
gelassen.«
Es gab jetzt nichts mehr zwischen ihnen zu sagen, denn all ihre Aufmerksamkeit nahm die Gestalt mit der Kutte in Anspruch.
Erneut war nicht zu erkennen, ob sie ging oder schwebte, was letztendlich aber keine Rolle spielte, denn es war egal, wie sie sich ihnen näherte.
Der Kuttenträger hatte sie bemerkt, denn er streckte bereits beide Arme nach ihnen aus, als wollte er sie schon aus der Entfernung willkommen heißen.
»Sollen wir schon gehen?«, fragte Percy.
»Nein, wartet.«
»Gut…«
Der Kuttenträger musste erst dicht bei ihnen sein, um sie in seine Welt ziehen zu können. Noch hatten sie Zeit, ihn sich genau anzuschauen und sich auf ihn vorzubereiten.
Er sah nicht unbedingt exotisch aus in seiner Kutte und der über den Kopf gezogenen Kapuze. Einbärtiges Gesicht, das auch einem Mönch hätte gehören können. Dunkle Brauen zeichneten sich wie breite Striche über den Augen ab, aber es waren genau diese Augen, die den Unterschied ausmachten.
Sie hatten keine normalen Pupillen. Susan und Percy sahen die grüne Farbe darin, und sie spürten auch die magische Aura, die von ihnen ausging.
»Das ist nicht der Tod«, flüsterte Susan Percy zu. »Nein, das glaube ich nicht.«
»Ich auch nicht.«
»Und was spürst du?«
Percy holte Luft. »So genau kann ich es dir nicht sagen. Es ist etwas - ja - als sollte ich von ihm geholt werden. So kommt es mir wirklich vor.«
Susan deutete ein Nicken an. »Ja, das stimmt. Ich - ich habe auch den Wunsch.«
Die Gestalt behielt ihre Haltung bei. Sie stand da wie ein Denkmal und tat nichts. Susan und Percy trauten sich immer noch nicht, den Anfang zu machen. Bis sie wieder die Hände an ihren Rücken spürten und Kids Stimme hörten.
»Jetzt!«
Sie dachten nicht mehr daran, was ihnen noch passieren konnte. In diesem Fall gingen sie einfach vor und hielten sich dabei an den Händen fest.
Sie hätten nach dem zweiten Schritt gegen die Spiegelwand stoßen müssen, aber da gab es den Sog, der sie nach vorn zog und sie durch die Spiegelfläche dringen ließ.
Es war ein Sog, dem sie nichts entgegensetzen konnten oder auch wollten. Sie glitten in den Spiegel hinein, und sie spürten keinen Widerstand. Abgesehen davon, dass sie von einer weichen Masse berührt wurden, die sich wie ein Schleier über sie legte.
Dann waren sie da.
Im Jenseits…
***
Kid blieb außen vor. Er schaute auf die Rücken seiner beiden Freunde, die endlich den Weg gegangen waren, den er und Lena schon hinter sich hatten. Er wollte, dass sie zu viert die Stärke und Macht in sich aufsogen, die aus einer Welt stammte, deren Existenz er bisher nicht für möglich gehalten hatte, die es aber trotzdem gab.
Er wusste, was mit seinen Freunden passieren würde. Sie würden ihr Jenseits erleben, aber nicht das der Toten, und darüber machte sich Kid Langster die meisten Gedanken. So hatte er sich die Dinge nicht vorgestellt.
Kein Tor ins Totenreich. Keine Nahtoderfahrungen, wie er es sich vorgestellt hatte. Alles war anders gewesen.
Aber er wusste nicht, wo er gelandet war. Welche Welt war das, die jenseits des Spiegels lag? Er dachte an die Feuer, das Totenlicht und den geheimnisvollen Fremden, aber die gaben ihm auch keinen Hinweis.
»Töte mich, dunkler Spiegel«, flüsterte er und fragte sich, ob er so etwas wie einen Tod oder Teiltod erlebt hatte. Jedenfalls war es nicht normal und er suchte nach einer Erklärung, die er nicht fand. Das war alles zu hoch für ihn.
Er trank einen Schluck Wasser. Er wusste, dass seine Augen noch immer leuchtend grün waren. Ein Erbe dieser anderen Welt.
Aber er gehörte dazu, und davon ließ er sich auch nicht mehr abbringen.
Der erste Besuch hatte ihn neugierig gemacht. Ein zweiter und dritter würden folgen, nur wollte er den Weg diesmal nicht allein gehen. Aber noch immer fehlte jemand aus dem Quartett.
Das war Lena Wilcox.
Er hatte sie nicht halten können. Sie war ihren eigenen Weg gegangen.
Nicht jeder reagierte auf die andere Welt so positiv wie er.
Wahrscheinlich hatte sie Mühe gehabt, ihr Erlebnis zu verkraften, doch er war sicher, dass ihre Verbindung zu dieser anderen Welt nicht abgebrochen war.
Allmählich verrann die Zeit. Kid hatte fest damit gerechnet, Lena noch in dieser Nacht zu sehen. Anscheinend hatte sie es sich anders überlegt oder war so geschockt gewesen, dass sie den Kopf verloren hatte und in der Dunkelheit herumirrte.
Er ging zur Schuppentür und riss sie auf. Ein Blick in die noch immer finstere Nacht und in ein
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