1581 - Ekel
verließ und auf der Straße für einen Moment stehen blieb.
Sie konnte sich nicht an die letzten Stunden erinnern. Da klaffte eine Lücke in ihrem Gedächtnis.
Bis zu dem Augenblick, als sich bei ihr das Telefon gemeldet hatte. Sie hatte die schon zischende Stimme gehört, und plötzlich hatte sie wieder Bescheid gewusst.
Es war sie!
Und sie wollte etwas von ihr!
Lisa fing an zu zittern. Sie war nicht fähig, etwas zu antworten. Sie musste nur zuhören. Das tat sie mit angespannten Sinnen, und plötzlich wusste sie Bescheid.
»Ja…«, hatte sie nur gesagt. »Ja …«
Und jetzt stand sie auf der Straße. Der Morgen war etwas zu kühl. Sie fröstelte und dachte daran, dass sie sich ein Taxi nehmen musste. Im Moment kam kein Wagen vorbei, aber nicht weit entfernt gab es einen Taxistand.
Sie raffte den dünnen Mantel vor der Brust zusammen und ging los. Ihr Gesicht war angespannt, den Blick hatte sie gesenkt, und das Glück stand ihr diesmal zur Seite, denn sie sah ein freies Taxi, das wahrscheinlich auf dem Weg zum Stand war, und winkte es heran.
Der Fahrer war ein junger Mann mit einer Igelfrisur, der sich unterhalten wollte, was Lisa durch ein heftiges Kopfschütteln ablehnte. Sie wollte ihre Ruhe haben und ihren Gedanken nachgehen.
Um sich besser zu konzentrieren, schloss sie sogar die Augen.
Allerdings schlief sie nicht ein. Alles in ihr war auf den Besuch fixiert, den sie vor sich hatte.
Sie hätte Susan Serrano auch anrufen können, aber ihr Instinkt sagte ihr, dass es besser war, wenn sie es nicht tat. Umso größer würde die Überraschung werden.
Es war wieder da. Das Gefühl, das sie kannte und so fürchterlich war.
EKEL!
Erneut stieg es in ihr hoch. Sie wusste nicht, aus welchen Tiefen es hochstieg. Es war wie eine Botschaft, und sie spürte in ihrem Mund die Veränderung.
Dort bildete sich der Schleim, als wollte er etwas Bestimmtes vorbereiten. Er glitt über ihren Gaumen, und wenn sie die Zunge bewegte, dann gab es keinen Fleck, an dem sie den Schleim nicht spürte. Einige Male blies sie die Wangen auf. Sie spürte auch den Druck ganz hinten in der Kehle, als säße etwas in ihrem Hals, das sich nicht hinunterschlucken ließ.
Ekel und Würgen!
Ein Unruhe erfasste sie. Es war ihr nicht mehr möglich, normal sitzen zu bleiben. Sie spürte den inneren Druck und wusste, dass die Schlange da war. Doch sie musste die Lippen noch geschlossen halten. Der Fahrer durfte nichts merken.
Er merkte trotzdem etwas, denn er hatte im Innenspiegel gesehen, wie unruhig sein Fahrgast geworden war. Die Frau saß nicht mehr so still.
Sie bewegte sich von links nach rechts, und auch in ihrem Gesicht tat sich etwas. Es schien sich aufzublähen, als wäre ihr Mund mit irgendwas völlig ausgefüllt.
»Geht es Ihnen nicht gut?«
Lisa hörte die besorgte Frage wie durch einen dicken Filter. Sie winkte nur ab, schaute aus dem Fenster und erkannte die beiden Hochhaustürme. In dem einen wohnte Susan.
Zwei Minuten später hatte Lisa ihr Ziel erreicht. Der Fahrer hielt an. Sie reichte ihm einen Schein und verzichtete auf das Wechselgeld.
Schnell stieg sie aus. Es war schon ein Hasten, und der Fahrer schüttelte nur den Kopf.
An der frischen Luft fühlte sich Lisa wohler. Der Wind kühlte den Schweiß auf ihrer Stirn. Und sie war froh, ein wenig von dem Ekel loszuwerden, denn sie spie den Schleim, der sich in ihrem Mund gesammelt hatte, auf den Boden. Alles schaffte sie nicht, aber einen Teil, und das erleichterte sie.
Der Portier befand sich momentan nicht an seinem Platz. So betrat Lisa das Haus so gut wie ungesehen. Menschen, die ihr entgegen kamen, um zu ihrer Arbeitsstelle zu fahren, beachteten sie nicht.
Irgendwann war auch der Lift frei. Sie hätte auch die Treppe nehmen können, aber sie wusste nicht, wo sie hinlaufen musste.
Zwei Männer verließen die Kabine. Einer von ihnen hielt ein Handy gegen das Ohr gepresst und hörte angestrengt zu.
Lisa Long fuhr hoch.
Jetzt war sie für wenige Augenblicke allein, und sie konnte sich wieder auf die Veränderung in ihrem Mund konzentrieren.
In ihrer Kehle bewegte sich etwas. Es war ein Gleiten und ein Zucken eines Fremdkörpers. Lisa war mittlerweile klar geworden, dass sie sich nicht dagegen wehren konnte. Möglicherweise nie mehr in ihrem Leben.
Sie stieg aus.
Wenige Meter nach links, dann hatte sie die Tür mit Susan Serranos Namensschild erreicht. Lisa versuchte noch mal tief durchzuatmen. Sie musste sich konzentrieren, denn sie wusste, dass eine
Weitere Kostenlose Bücher