1586 - Wen die Rache trifft
könnt."
Lalektat kratzte sich den Kopf. Zögernd trat er einen Schritt vor. „Ich habe gehört, daß du sonst immer mit deinen Schülern reist", erklärte er. „Heute bist du allein. Warum?"
Dorina Vaccer spürte, wie aufgeregt der Junge war und wie sehr sich Liergyn versteifte. Er war nicht damit einverstanden, daß sie mit dem Jungen sprach. Ihr war nicht daran gelegen, seine ablehnende Haltung noch zu vertiefen, sie hatte jedoch oft genug erlebt, daß es gerade die Kinder waren, durch die sie einen positiven Einfluß auf die Erwachsenen bekommen konnte. Teilweise waren die Kinder geradezu die Medien gewesen, die ihr den Zugang zu den Erwachsenen ermöglichten. Kinder waren die Hoffnung d§r Erwachsenen, sie waren ihre eigenen Projektionen in die Zukunft. Sie machten Erwachsenen oft erst bewußt, daß es bei der Bewältigung von Gegenwartsproblemen fast immer um die Gestaltung der Zukunft ging, die irgendwann Gegenwart für die Kinder sein würde, „Ich habe eine große und sehr wichtige Aufgabe", erwiderte Dorina Vaccer freundlich. „Ich möchte mich ganz darauf konzentrieren, euch zu helfen und Unheil von euch abzuwenden. Unter diesen Umständen ist es besser, daß ich allein bin."
Lalektat nickte. Dieses Argument klang überzeugend in seinen Ohren. „Viel Glück!" sagte er. „Man hat uns ausgetrickst, und das haben wir viel zu spät gemerkt."
„Schon gut, mein Sohn", mischte sich Liergyn ein. „Du hast die Friedensstifterin jetzt lange genug aufgehalten."
Dorina Vaccer schien nicht seiner Meinung zu sein, sie war jedoch klug genug, sich seinem Wunsch zu beugen und weiterzugehen. Sie schenkte den Kindern noch ein freundliches Lächeln und betrat dann mit Liergyn den kleinen Empfangsraum, in dem der Tisch für zwei Personen gedeckt war. „Reizende Kinder hast du", sagte die Linguidin, als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. „Danke", erwiderte Liergyn und bot ihr Platz an. „Mir wäre es lieb, wenn wir möglichst schnell zur Sache kommen können.
Vorher allerdings wollen wir etwas essen."
Vier Servorobs kamen mit verführerisch duftenden Speisen und Getränken herein, die auch Dorina Vaccer dazu veranlaßten, das eine oder das andere zu probieren. „Ich benötige vor allem Informationen", erklärte die Friedensstifterin. „Ich habe zuvor eine Frage", erklärte Liergyn, während er genüßlich eine Frucht auf der Zunge zergehen ließ. „Wieso kommst du nach Voltry? Niemand hat dich gerufen."
Sie blickte ihn lächelnd an. Als Friedensstifterin empfand sie es als normal, daß sie Widerstände überwinden mußte, die es in der Vorstufe zur sogenannten heißen Phase einer Auseinandersetzung immer gab. Erst wenn die streitenden Parteien sich gegenseitig schwere Opfer abverlangt hatten, schwanden die Widerstände. Dann setzte sich allmählich die Vernunft durch, und man begann nach Auswegen zu suchen. Ihre Absicht war es, den Konflikt zu beenden, bevor es wirklich schwere Opfer auf der einen oder anderen Seite gab. „Das ist ein Irrtum", antwortete sie. „Ich bin eingeladen worden. Man hat mich gebeten, euch zu helfen."
Mit einer gewissen Befriedigung stellte sie fest, daß sie einen beruhigenden Einfluß auf Liergyn hatte. Seine Ablehnung verringerte sich.
Verwundert schüttelte er den Kopf. „Davon ist mir nichts bekannt. Auch Menno von Volleren weiß nichts von einer Einladung. Ich habe noch vor wenigen Minuten mit ihm gesprochen."
„Wann werde ich ihn sehen?" fragte sie. „Vorläufig nicht."
Sie ließ erstaunt den Löffel sinken, mit dem sie von einer Frucht gegessen hatte. „Nicht? Aber wie soll ich meine Mission erfüllen, wenn ich nicht mit dem wichtigsten Mann der Volleron-Sippe verhandeln kann?"
„Der Patriarch ist in höchstem Maße erzürnt, weil du dich bei uns einmischst. Er ist empört über deine Anwesenheit, und er ist nicht davon überzeugt, daß du irgendeinen Nutzen für uns hast."
„Das sind starke Worte", erwiderte sie ruhig nach einer kleinen Pause, in der sie etwas trank, um ein wenig Zeit zum Nachdenken zu gewinnen.
Dorina Vaccer horchte in sich hinein. Sie hatte das Gefühl, daß ihre Fähigkeit, Frieden zu stiften, nachgelassen hatte. Es verunsicherte sie, obwohl sie davon überzeugt war, daß eine Verminderung ihres Könnens nur vorübergehend sein könne.
Sie war sich darüber klar, daß sie vor einer schwierigen Situation stand, wenn Menno von Volleren nicht bereit war, sie zu empfangen. Er war der einzige innerhalb der Volleron-Sippe, der ein
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