1605 - Blutnacht - Liebesnacht
schimmerte es noch immer feucht.
»Darf ich jetzt fragen, wozu Sie den Sarg brauchen?«
Beim Sprechen bewegte er kaum die Lippen. »Er - er - ist für meine Tochter Anja. Für meine tote Tochter, die trotzdem nicht richtig tot ist. Ich habe mit keinem darüber gesprochen, und ich habe auch meine Frau weggeschickt, denn für das, was ich vorhabe, muss ich allein sein.«
Obwohl ich eine gewisse Ahnung hatte, um was es ging, stellte ich die Frage dennoch. »Sie haben gesagt, dass Ihre Tochter nicht richtig tot ist. Wie sollen wir das verstehen?«
»Das ist nicht zu verstehen«, flüsterte er.
Das wollte ich nicht so stehen lassen. »Kann es sein, dass Ihre Tochter zu einer Wiedergängerin geworden ist?«
Karl Seeger sagte nichts. Er schien aber in seiner Stellung zu vereisen.
Ich wurde konkreter. »Hat man sie zu einer Blutsaugerin gemacht?«
»Zu einer Vampirin?«, fügte Dagmar noch hinzu.
Wieder sah es so aus, als würde der Mann vor uns zusammenbrechen.
Er riss sich im letzten Moment zusammen, schloss die Augen und nickte, denn reden konnte er nicht mehr.
»Der Sarg ist also für sie«, sagte Dagmar.
Seeger nickte.
Dagmar und ich schauten uns an. Wir befanden uns auf der richtigen Spur.
»Jetzt wissen Sie alles«, flüsterte der Mann. »Jetzt können Sie mich für einen Verbrecher halten, aber ich konnte nicht anders handeln. Ich muss die Menschen vor Anja schützen. Das werden Sie doch verstehen. Ich kann sie einfach nicht laufen lassen. Sie wird bei Dunkelheit erwachen, und man weiß doch, was mit Vampiren los ist. Die wollen Blut saugen. Die machen andere Menschen auch zu Vampiren. Alles, was ich gelesen und gesehen habe, hat sich hier bei mir erfüllt. Anja ist zu diesem schrecklichen Wesen geworden.«
»Und wie ist das gekommen?«, wollte Dagmar wissen, die sehr gut nachvollziehen konnte, wie es in diesem Vater aussah.
Karl Seeger winkte ab und schüttelte den Kopf. »Lassen wir das. Ich habe schon zu viel gesagt. Es geht Sie ja auch nichts an. Das ist allein mein Problem.«
»Vielleicht nicht«, erklärte Dagmar.
»Wieso?«
»Es könnte doch sein, dass wir, zwei Fremde, hier sind, weil uns dieser Fall hergeführt hat.«
»Vampire?«
»Ja.«
Seeger zeigte sich verunsichert. »Das kann ich nicht begreifen. Da stimmt doch was nicht.«
»Sie sollten uns Vertrauen schenken«, bat ich ihn. »Wissen Sie, was in der vergangenen Nacht auf dem Friedhof passiert ist?«
»Ich habe davon gehört. Weiß aber nichts Genaues.«
»Es ging da auch um einen Vampir und um eine junge Frau. Wie bei Ihrer Tochter Anja.«
Seeger musste das erst verkraften. Er wischte über seine Augen und zog die Nase hoch. »Dann wissen Sie - ahm - ich meine, dann glauben Sie an die Blutsauger?«
»Wir wissen, dass es sie gibt!«, bestätigte ich.
»Und deshalb sind wir auch hier«, präzisierte Dagmar.
Seeger senkte den Kopf. »Ich - ich verstehe das alles nicht. Aber ich glaube Ihnen.«
Da hatten wir schon mal gewonnen. Ich deutete auf den Sarg. »Und weshalb haben Sie den für Ihre Tochter geholt?«
»Ich wollte sie darin verstecken. Den Deckel fest schließen, damit sie nicht mehr raus kann.«
»Und dann?«
»Ich weiß es nicht, Herr Sinclair«, flüsterte er.
Die nächste Frage traf ihn schon hart. »Ist Ihnen bekannt, wie man Vampire von ihrem Dasein erlöst?«
Er nickte. »Man kann sie pfählen. Ich habe auch mal gelesen, dass man ihnen den Kopf abschlagen muss. Aber glauben Sie mir«, flüsterte er und ihm kamen wieder die Tränen, »das bringe ich nicht übers Herz. Nicht bei der eigenen Tochter. Ich wollte sie in den Sarg legen und ihn dann verstecken.«
»Das ist sogar aus Ihrer Sicht verständlich.«
Dagmar stellte eine weitere Frage. »Können Sie uns denn sagen, wie es dazu gekommen ist?«
Er hob den Kopf, schloss die Augen und holte tief Luft. »Das kann ich Ihnen schon sagen. Anja hat sich - sie hat sich in einen Mann verliebt. Er hat sie verrückt gemacht. Er ist der Falsche gewesen, aber das hat sie nicht gesehen. Sie ist vor Liebe blind gewesen. Ich kpnnte nichts tun und meine Frau auch nicht. Dann ist es passiert. Ich habe sie in einem Graben am Feld gefunden. Er hat sie dort abgelegt wie einen Müllsack. Zuerst habe ich gedacht, sie sei tot. Doch das stimmte nicht. Sie ist nicht richtig erwacht, aber ich habe ihre Zähne gesehen. Da wusste ich Bescheid. Ich habe sie dann in die Scheue geschleppt und sie gefesselt. Jetzt wollte ich Anja in den Sarg legen und sie für immer von der Welt
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