1605 - Blutnacht - Liebesnacht
und eben die Umrisse einer Tür nachzeichnete. Es gab also einen Ausgang. Da er höher lag, ging sie davon aus, dass er über eine Treppe zu erreichen war.
Da wollte Anne hin. Es drängte sie auch, aber zugleich hielt sie etwas davon ab.
Es war ein schwacher grauer Streifen, der die untere Seite des Vierecks bildete. Es bestand aus Licht, und genau das mochte sie nicht. Deshalb zog sie sich etwas zurück.
Sie wusste aber, dass es weiterging. Sie hatte so etwas wie eine Neugeburt erlebt. Sie bewegte sich auf zwei Beinen durch eine Welt, die sich für sie nicht verändert hatte. Die einzige Veränderung war mit ihr selbst geschehen.
Jetzt entschied sich Anne dafür, noch länger in diesem Keller oder Verlies zu bleiben. Draußen war nicht ihre Zeit. Sie wusste instinktiv, dass sie die Dunkelheit abwarten musste…
***
Je weiter wir nach Westen gefahren waren und den Großraum Köln verlassen hatten, umso mehr hatte sich der Himmel eingetrübt. Das strahlende Blau war verschwunden. Lange Wolkenschleier zogen über den Himmel, und ich konnte auf meine Sonnenbrille verzichten.
»Das da oben sieht nicht gut aus, Dagmar.«
Sie nickte. »Du sagst es.«
»Und? Was hört man hier über das Wetter?«
»Es soll zu einem Umschwung kommen. Es wird wärmer. Dann wurde auch Regen angesagt. Ob das in der Eifel auch so sein wird, ich weiß es nicht. Das Land liegt höher. Ich denke, dass es dort wohl noch einiges an Schnee geben wird.«
»Und da müssen wir hin?«
»Genau.«
Wir hatten bereits die Autobahn verlassen und rollten durch eine wellige Hügellandschaft. Etwas Grünes sahen wir nicht, denn die Schneedecke hielt alles unter Verschluss. Nur die Straßen waren frei und zerschnitten die weiße Landschaft mit ihren grauen Bändern. Der Schnee lag noch auf den Nebenwegen und auch in den kleinen Orten, die sich in dieser welligen Landschaft verteilten, wobei wir hin und wieder nur die Türme der Kirchen sahen, die Häuser aber in den Senken verschwanden.
Schwärme aus dunklen Vögeln kreisten in der Winterluft und schickten ihr Geschrei gegen den Boden.
»Warum hat sich deine Freundin nur auf ein Treffen in dieser Landschaft eingelassen?«
Dagmar zuckte mit den Schultern. Sie lenkte den Wagen vorsichtig in eine Kurve und mied die Ränder der Straße, an denen das Eis lag und ein helles Schimmern abgab. Nicht weit entfernt bahnte sich ein Bach den Weg durch sein schmales Bett. Die wenigen Bäume, die auf den Schneeflächen wuchsen, sahen aus wie Eisgebilde.
»Hat Darius bestimmt, wo man sich treffen sollte?«, fragte ich.
»Ja, und sie ist darauf eingegangen. Ich verstehe das auch nicht.«
»Hast du sie danach gefragt?«
»Klar. Sie hat nur gelacht und von einer großen Faszination gesprochen, obwohl da noch gewisse Vorsicht und Misstrauen in ihr vorhanden gewesen waren. Sonst hätte sie mich ja nicht um Rückendeckung gebeten. Jedenfalls ist das alles katastrophal gelaufen, das muss ich leider zugeben.«
»Du sagst es.«
»Und Harry muss es ausbaden«, flüsterte sie, »das ist für mich am schlimmsten.«
Es hatte keinen Sinn, ihr darauf zu antworten. Sie lag damit verdammt richtig.
Erneut tauchte an der rechten Seite eine einsam stehende Scheune auf.
So ein Haus hatten wir schon öfter gesehen. Diesmal stand ein Trecker vor dem Eingang und ein Mann war dabei, ihn zu reparieren.
»Wir sind gleich da, John. Nicht mal einen Kilometer, dann haben wir das Dorf erreicht.«
»Mich würde der Friedhof mehr interessieren«, sagte ich. »Liegt er weit von hier entfernt?«
»Nein.«
»Dann lass uns hinfahren.«
»Okay.«
Ich warf ihr einen schellen Seitenblick zu. »Du bist nicht glücklich darüber, wie?«
»Stimmt.« Sie hob die Schultern. »Was soll ich sagen, John? Es ist die Erinnerung an ein schreckliches Geschehen, das ich leider nicht rückgängig machen kann.«
Ich nickte.
»Aber davon lasse ich mich nicht unterkriegen. Wir müssen das Ding hier durchziehen. Koste es, was es wolle.«
Da konnte ich ihr nur zustimmen.
Der Himmel hatte sich weiter bezogen und warf ein graues Licht über die schneebedeckte Landschaft. Die Sonne war mehr zu einem fahlen Ball geworden. Und fahl sah auch der Ort aus, auf den wir zurollten, obwohl noch der Schnee auf den Dächern der Häuser lag.
Das veränderte Wetter hatte die Wanderer von Touren in die Umgebung abgehalten, und auch die meisten Bewohner blieben in den Häusern.
Die Hauptstraße war vom Schnee befreit worden. Er türmte sich an den Seiten zu kniehohen
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