1609 - Shaos Rachetour
hatte melden können.
»Ja, da bin ich wieder.«
»Und?«
Er lachte. »Da haben Sie genau ins Schwarze getroffen, Mr. Sinclair. Alle Achtung.«
»Wieso?«
»Die Söhne Nippons sind nicht von schlechten Eltern. Ich kann Ihnen gleich sagen, dass ich nicht viel über sie herausgefunden habe. Sie halten sich sehr zurück, aber auch das Wenige kann einen Menschen schon zum Nachdenken bringen.«
»Und?«
»Sehr konservativ. Sehr in ihren alten Traditionen verhaftet.«
»Terroristen?«
»Nein, nein, damit haben sie nichts zu tun. Sie sehen ihre Wiege wohl mehr in der Mythologie ihres Landes. Wobei sie sich dem Kaiser gegenüber in der Verpflichtung sehen, aber trotzdem ihren eigenen Weg gehen.«
»Yakuza?« Ich hatte die japanische Mafia erwähnt, denn damit hatte ich auch schon Erfahrungen sammeln können.
»Nicht direkt, Mr. Sinclair. Ihre Ziele sind wohl anders. Sie wollen etwas zurückholen, das längst vorbei ist. Sie hängen an den alten Traditionen und Mythologien. Das neue Japan ist ihnen zu modern, und wenn sie gewisse Missstände bekämpfen können, die ihrer Meinung nach auftreten, dann tun sie es.«
»Gut, Mr. Glen, das habe ich verstanden. Sind denn Aktivitäten außerhalb Japans bekannt? Zum Beispiel hier in Europa?«
»Meinen Sie damit auch London?«
»Bestimmt!«
»Nein, Mr. Sinclair, das auf keinen Fall. Da muss ich Sie enttäuschen.«
»Okay, ich habe verstanden.«
Ich hörte einen scharfen Atemzug und dann die Frage: »Kann es denn sein, dass Sie Kontakt mit diesen Leuten bekommen haben? Ich meine, dass es Hinweise auf Aktivitäten hier in London gibt?«
Die Wahrheit konnte ich ihm nicht sagen, aber ich wollte ihn auch nicht im Unklaren lassen.
»Ja, es gibt gewisse Hinweise, denen ich nachgehen muss. Sollten sie sich verstärken, werde ich Sie natürlich sofort einweihen, das versteht sich.«
»Danke, das wäre gut. Wir können gar nicht genug Informationen über obskure Gruppen und Verbindungen sammeln, denn die Radikalisierung wird leider immer stärker.«
»Ich weiß. Und danke für Ihre Auskünfte.«
»Gern geschehen.«
Ich legte auf und zog ein nachdenkliches Gesicht. Zwar war ich durch die Informationen des Kollegen nicht viel weitergekommen, aber als harmlos durfte man die Söhne Nippons nicht einstufen. Das hatten Suko und ich zudem am eigenen Leib erleben müssen.
Wie ging es weiter?
Ich hätte nach nebenan gehen und fragen können. Möglicherweise gab es schon einen Plan, den Suko und Shao sich zurechtgelegt hatten, aber ich wollte die beiden nicht stören. Was sie miteinander zu besprechen hatten, ging mich zunächst mal nichts an. Deshalb wollte ich warten, bis Suko sich meldete.
Das bedrückende Gefühl war trotzdem in mir geblieben. Ich hatte nicht vergessen, dass Shao von einer Rachetour gesprochen hatte, und genau das ließ mich den Kopf schütteln. Das kannte ich nicht von ihr.
Auf eine so niedrige Stufe hatte sie sich nie gestellt. Dass sie jetzt so reagierte, musste schon gewichtige Gründe haben.
Es brachte mir nichts ein, wenn ich weiterhin darüber nachgrübelte. Ich musste abwarten und erst dann eingreifen, wenn es gewünscht war.
***
Shao war ins Schlafzimmer gegangen und hatte die Tür hinter sich geschlossen. Sie wollte keinen Menschen sehen. Auch Suko nicht. Sie wusste, dass er so fair sein und sich daran halten würde.
Die Chinesin beschäftigte sich mit dem Gedanken, ob sich ihr Leben verändert hatte. Nach außen hin sah alles normal aus, aber es stellte sich die Frage, ob es auch innerlich so war.
Sie wusste jetzt, dass sie Feinde hatte. Der erste Anschlag war misslungen, und sie ging nicht davon aus, dass sich die Söhne Nippons damit zufrieden geben würden. Nicht diese Vereinigung. Sie wollten an die Macht. Dazu war ihnen jedes Mittel recht.
Das Auge der Sonnengöttin war ein Machtpotenzial, das hatte auch Shao erlebt.
Sie war innerlich eine andere Person geworden, nachdem sie das Amulett um ihren Hals gehängt hatte. Sie hatte eine gewisse Leichtigkeit und zugleich eine besondere Stärke gespürt.
Aber anders als sonst, wenn sie die Gestalt ihrer Doppelexistenz annahm - das Phantom mit der Maske.
Sie wusste sehr wohl, was sie der Sonnengöttin schuldig war. Sie kannte deren Schicksal, und sie wusste noch mehr. Dass Amaterasu noch immer eine Armee von Feinden hatte, die froh waren, dass sie im dunklen Reich gefangen war. Dafür hatte ihr Bruder Susanoo gesorgt, der damals in Shimada einen exzellenten Helfer besessen hatte.
Es gab
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