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1610 01 - Der letzte Alchimist

1610 01 - Der letzte Alchimist

Titel: 1610 01 - Der letzte Alchimist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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sprachen. Unentschlossen starrte ich einen Augenblick lang einfach nur nach unten.
    In übertrieben weinerlichem Tonfall sagte sie: »Mir ist kalt, Messire.«
    Verlegen drehte ich mich um und ging zu ihren Kleidern. Zuerst warf ich ihr das verhältnismäßig trockene Leinenhemd zu, dass sie vom Hals bis zu den Knien verhüllen würde.
    Unmöglich! Nein, das ist unmöglich, dachte ich. Es kann doch nicht mein Wunsch sein, ihr die Verlegenheit zu ersparen!
    Nur ein Waschhaus und ein fähiger Schneider würden ihre Kleider retten können. Ich öffnete mein Gepäck und suchte nach dem Wams, das ich eigentlich Saburo hatte leihen wollen – hätte er sich nicht aus unerfindlichen Gründen geweigert, es zu tragen –, sowie die Wollhose, die sie sich schon in Ivry von mir geborgt hatte. Als ich die Wolle berührte, konnte ich nicht anders, als mich an das Gefühl ihrer Haut auf meiner zu erinnern.
    So ausdruckslos wie möglich ging ich zurück, um ihr meine Ersatzkleider zu geben, und schaute zu, wie sie sich anzog. Mit dem Hemd am Leib wirkte sie wieder einigermaßen anständig; aber die viel zu große Wollhose und mein Wams machten sie zu einer Witzfigur vom Jahrmarkt. Der Kragen reichte ihr bis zu den Ohren und die Ärmel bis zu den Fingernägeln.
    »Da passe ich ja dreimal rein«, knurrte sie.
    »Gott verhüte, dass es Euch mehr als einmal gibt, Mademoiselle«, sagte ich. »Aber Gott weiß, dass eine von Euch mehr als genügt.«
    Sie öffnete den Mund, um etwas darauf zu erwidern, schloss ihn dann jedoch wieder und schaute mich seltsam an. »Habt Ihr da etwa gerade einen Scherz gemacht? Messire Rochefort hat einen Scherz gemacht?«
    Ohne weiteren Kommentar packte ich meine Sachen wieder zusammen.
    »Lasst uns hoffen«, sagte ich zu Saburo, »dass wir noch genug Geld haben, um uns mit einem Kahn auf die andere Flussseite, nach Southwark übersetzen zu lassen.«
    Er nickte. Dariole begann, hinter mir zu singen. Die Ereignisse der vergangenen Stunde hatte sie offenbar schon vergessen: die Demütigung ebenso wie die Tatsache, dass sie wie ein Kind geweint hatte.
    Unmöglich, wiederholte ich für mich selbst und schloss die Riemen meiner Satteltaschen.
    Körperlich mag ich mich ja in sie vernarrt haben, aber mehr auch nicht. Eifersucht beweist gar nichts!
    Und nun, da du gesehen hast, wie sie misshandelt und gedemütigt worden ist?, fragte eine Stimme in meinem Geist.
    Du hast dich so darüber gefreut, so sehr darüber gefreut … und dann wieder nicht. Warst du nicht bereit, auf einen hämischen Kommentar dazu zu verzichten, als wärst du ihr Kamerad und nicht ihr Feind?
    Bei diesem Gedanken hockte ich mich unwillkürlich hin, die Hände auf den Satteltaschen und das Themsepanorama vor meinen nicht sehenden Augen. Wenn ich vor gut zwei Wochen in Paris gesehen hätte, wie sie ähnlich behandelt worden wäre …
    Ich hätte das gnadenlos gegen sie ausgenutzt. Ich hätte sie damit verspottet, bis ihr keine andere Wahl geblieben wäre, als das Schwert zu ziehen. Doch nun tat ich es nicht … schlimmer noch: Mir war noch nicht einmal der Gedanke daran gekommen. Wie konnte das sein?
    Ihr Gewicht in meinen Armen. Nass, stinkend und ungeschützt. Dank all des Drecks eine äußerst unangenehme Erfahrung. Doch seit ich sie gehalten hatte, seit ich sie auf meinen Armen getragen hatte und sie ganz von meiner Stärke abhängig gewesen war …
    Gütiger Gott. Mein Hass hatte die Kraft verloren.
    Die Kirchenuhren schlugen die Stunde, während wir uns säuberten und so gut es ging wieder zurechtmachten. Ich brachte es einfach nicht fertig, mit ihr zu sprechen. Und wenn es nicht zu vermeiden war, ließ ich es so klingen, als richte sich die Bemerkung auch an Monsieur Saburo.
    Du benimmst dich, als wärst du noch grün hinter den Ohren!, tadelte mich die Stimme in meinem Kopf. Sie gehörte jenem Teil von mir, der die Heuchelei der Menschen klar durchschaute.
    Eine Stunde vor Mittag traf ich den Entschluss aufzubrechen. Wir gingen am Pier des Seitenarms entlang und bezahlten einen Flussschiffer, um uns auf die andere Seite zu bringen. Dariole hatte mein Wams nicht an der Hose festgeknöpft. Sie trug es darüber und hatte den Gürtel darumgeschnallt. Sie sah noch immer wie ein kleiner Junge in Männerkleidern aus, als sie die Treppe von St Mary Overy betrat, nicht weit entfernt vom Bear Garden.
    Du Narr!, dachte ich und wandte mich von ihr ab. Ich versuchte, mich auf das zu konzentrieren, was ich bei meinem letzten Besuch in England über

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