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1610 02 - Kinder des Hermes

1610 02 - Kinder des Hermes

Titel: 1610 02 - Kinder des Hermes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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Gelegenheit bildete keine Ausnahme. Dem Trinklied hatte mein Frauenkostüm vielleicht noch einen besonderen, perversen Reiz gegeben; bei dem Klagelied unterstrich es jedoch nur das zum Ausdruck gebrachte Leid. Es handelte sich um eine alte Ballade, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnerte. Sie handelte von einer alten Frau, die einsam stirbt, nachdem ihr geisterhafter Liebhaber sie verlassen hat. Und auch wenn die Einzelheiten nicht denen von Caterinas Leben entsprachen, so konnte ich doch nicht umhin, an sie zu denken.
    Schließlich kehrte ich zu James Stuart zurück. »Jetzt, Sire.«
    Er schaute mich naiv an.
    »Das ist Euer Volk, Sire.«
    »Uns … Mir gefällt ihre Schmeichelei nicht«, knurrte er. »Die Luft stinkt förmlich nach ihrem Atem. Lange mache ich das nicht mit!«
    James Stuart straffte die gepolsterten Schultern und trat in die Arena. Wie alle Monarchen, so erwartete auch er, dass ihm jedermann den Weg frei machte – und deswegen taten sie es auch. Ich sah, wie die Leute beiseite rückten, um ihm Platz zu machen, und hörte gemurmelte Glückwünsche für ›den Schauspieler, der König James spielt‹.
    Mein neuer Freund mit der Blockflöte spielte eine majestätische Melodie, und der König von England und Schottland schritt gemessen und formell durch das nasse Gras.
    Dariole erschien an meiner Seite und schaute mich verstohlen an. Ist das Staunen in ihren Augen? Nein … Bewunderung?
    »Mademoiselle, wollt Ihr mich verspotten, weil ich in Frauenkleidern gesungen habe?«
    Unbewusst rieb sie sich mit dem Handballen übers Gesicht. »Ich wusste ja nicht, dass Ihr wirklich singen könnt. Ihr seid sehr gut.«
    In nur einem Augenblick fühlte ich mich um dreißig Jahre jünger … und war so verlegen wie ein kleiner Junge.
    »Messire, werdet Ihr etwa rot?«
    Ich konnte keine Antwort darauf geben, die keine Lüge gewesen wäre oder mich hätte die Fassung verlieren lassen. Also wandte ich mich einfach von Dariole ab und blickte zu dem tanzenden James Stuart.
    »Euer Junge und der Dämon sind in Ordnung«, knurrte Anselm, als er zu mir schlenderte. »Von dem Dicken da kann ich das aber nicht gerade sagen.«
    Sein Akzent war breit genug, dass ich hoffte, James Stuart bliebe diese Beleidigung durch einen seiner Untertanen erspart. Der König begab sich in Position für seine Rede, nur dass er hier nicht seinem Hofstaat, sondern einem Dutzend Bauernfamilien gegenüberstand. Selbst auf gut zehn Schritt Entfernung sah er für mich krank aus.
    »Als in feierlichem Ernst Muse stand …«, sabberte James mutterseelenallein vor seinem Volk. Sein schottischer Akzent kam so stark durch, dass sie ihn kaum verstehen dürften, erkannte ich. Falls hier jemandem die Knie schlottern, dann ihm …
    »Blödsinn!«, bellte Anselm. »Macht, dass Ihr wegkommt!«
    »… aufzuzählen der Kön'ge Namen …«
    Der fette Schotte fing sich Pfiffe aus dem Publikum ein.
    Er wankte ein, zwei Schritte vorwärts und funkelte die Bauern zornig an. » Verspottet ihr mich? Euren König?«
    »Du fetter, alter Furz!«, rief eine Stimme von der mir gegenüberliegenden Seite des Platzes. »Warum lässt du nicht einen fliegen? Das würde genauso viel Sinn ergeben!«
    Ich zuckte zusammen. In vollkommenem Unglauben riss James Stuart die Augen auf und starrte in die Runde.
    »Wer hat das gesagt? Wir werden ihn in den Tower bringen lassen! Wir sind James, König der Reiche von England und Schottland! Wir werden uns nicht von einem gemeinen Tölpel verhöhnen lassen!«
    In dem darauffolgenden Schweigen lief mir der kalte Schweiß über den Rücken.
    Dariole flüsterte mir kaum hörbar zu, obwohl sie nur einen Schritt von mir entfernt stand: »Man wird uns am nächsten Baum aufknüpfen …«
    Es gab zwar keine Bäume in diesem flachen Land, aber die Bauern würden schon für einen passenden Ersatz sorgen. Saburo blickte kurz in meine Richtung, und ich schaute auf seine Schwerter. Langsam senkte und hob er die Augenlider wieder.
    Es muss schnell gehen. Wir müssen James Stuart packen und dann laufen …
    Ein Mann klatschte.
    Es brach los wie ein Waldbrand, alle Mann auf einmal; ein Dutzend schrie sogar nach Zugabe.
    James Stuart schnaufte, schnappte nach Luft und wirbelte zu uns herum. »Ihr da! Büttel! Anselm heißt Ihr, nicht wahr? Seht Ihr die Männer dort, die sich an Majestätsbeleidigung ergötzen? Wir sind Euer König! Verhaftet sie, Mann, verhaftet sie!«
    Anselm begann ebenfalls zu klatschen und nickte, als hätte er öffentlich

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