1610 02 - Kinder des Hermes
göttlichen Gnade vor der Pest bewahrt; aber er hat diese Engländer noch nie dazu gebracht, ihrem Monarchen gegenüber angemessenen Respekt zu zeigen.«
»Verzeiht mir, Sire, es ist kein Respekt, den Ihr benötigt, sondern Ehrfurcht … und Interesse.« Wie bei jedem anderen Theaterstück; auch, sinnierte ich zynisch. Ich trat in den Alkoven in der Mitte hinter der Bühne und zog den Vorhang ein Stück zurück, um hinauszuspähen. Ich blickte auf volle Galerien, und unten im Zuschauergraben drängten sich die Menschen Schulter an Schulter.
Der König erhob sich von seinem Hocker und nickte Edward Alleyne höflich zu. »Es tut Uns Leid, dass Wir Euch davon abhalten, Euer Stück aufzuführen. Wenn Wir wieder auf Unserem Thron sitzen, soll Die Viper und ihre Brut bei Hofe aufgeführt werden.«
Alleyne verneigte sich, und ich hörte die Schauspieler hinter ihm aufgeregt plappern. Ich biss mir auf die Lippe. Schließlich hatte ich die eine oder andere Probe des Stücks mit Aemilia Lanier gesehen und wusste um dessen Inhalt. Wie James allerdings auf ein Stück über eine große Königin reagieren würde, das wusste ich nicht …
»Nun denn«, sagte James Stuart. »Jetzt werden Wir Unseren Platz auf der Bühne einnehmen. Master Rochefort, Ihr und Master Saburo sollt Uns begleiten. Macht Platz!«
Dem König von England und Schottland dürfen ruhig die Knie schlottern, dachte ich und folgte ihm auf die viereckige Bühne hinaus. Über uns waren in einem Bogen die Sternzeichen zu sehen. Sicherlich erinnerte James sich an das Publikum in Somerset, das ihn ausgebuht hatte, und sicherlich erwartete er hier etwas Ähnliches, auch wenn er über die Arroganz eines Königs verfügte, um dem entgegenzuwirken.
Kurz wünschte ich mir, Heinrich IV. wäre hier. Das war ein Scherz, den er genossen hätte.
Und Messire de Sully hätte daneben gestanden und amüsiert das Gesicht verzogen. Gleichzeitig hätte er sich jedoch um den Gesichtsverlust des Königs gesorgt, und sich gefragt, warum der König keinerlei Unbehagen darüber empfand … Humor ist nicht gerade die Stärke meines Herrn, wenn es um Würde und Ehre geht.
Schweigend nahm ich meinen Platz links neben dem König und ein Stück hinter ihm ein. Monsieur Saburo war mein Spiegelbild zur Rechten. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sein Gesicht in Falten gelegt.
Das Publikum verstummte.
Die Neuigkeiten haben sich auf der Straße bereits verbreitet – dafür habe ich gesorgt –, aber das hier … Das ist trotzdem ein Schock.
Eine wahre Wand von weißen Gesichtern schaute von den Galerien zu uns hinunter und aus der Mitte zu uns hinauf. Insgesamt hatten sich zwei-, vielleicht sogar zweieinhalbtausend Menschen hier eingefunden, und noch mehr drängten sich im offenstehenden Theatertor. Der Großteil von ihnen starrte den König an.
Aber auch auf mich waren genügend Blicke gerichtet, dass mir die Knie weich wurden.
Das sind keine zwanzig Mann in einer Kaserne, keine fünfzig Bauern in einem Weiler, ja noch nicht einmal fünfhundert Mann am Hof in Fontainebleau oder St Germain.
Wie erstarrt stand ich vor den bemalten Pfeilern, die den Bühnenhimmel stützten. Ich hatte das Gefühl, als stünde ich mutterseelenallein auf einer riesigen, freien Fläche. War es das, was auch all die jungen Männer empfanden, die hier für gewöhnlich des Königs Geist oder die Verrückte spielten? Gütiger Gott, hätte ich das gewusst, ich hätte ihren Leistungen mehr Respekt gezollt!
Eine Sekunde später kam ich wieder zu mir. James schaute kurz zu mir nach hinten, und ich nickte ihm vertrauensvoll zu. Wenn ich schon so empfand, wie musste er sich da fühlen? Wir hätten Mademoiselle Dariole mit hier heraufnehmen sollen, dachte ich. Die verschwommenen Gesichter vor mir wollten sich einfach nicht voneinander unterscheiden lassen. Ihr Selbstvertrauen wäre hier nicht ins Wanken geraten.
Sie wird mich gnadenlos verspotten!
Dieser Gedanke hatte die seltsame Wirkung, dass er meine Furcht mit einem Schlag vertrieb. Erneut schaute ich in die Grube hinunter.
Die volle Aufmerksamkeit eines königlichen Hofstaats hatte ich schon ertragen und das mit Elan; aber dort sind die meisten Menschen einander gleichgestellt mit Ausnahme des Königs. Noch nicht einmal in einer Kirche sind die Menschen so angeordnet wie in einem englischen Theater, wo man sich auf der Bühne einfach nur einsam und allein vorkommt. ›Das Theater der Welt‹ hatte Fludd es genannt, und in der Tat konnte ich mich
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