1610 03 - Soehne der Zeit
ich wissen müssen.« Er senkte die buschigen grauen Augenbrauen wieder. »Als ich dich zum ersten Mal getroffen habe, hast du auch um dein Leben gebettelt.«
Die sinnlose Wut war verschwunden. Er sah traurig aus, ja sogar zutiefst bekümmert, aber beherrscht. Als er mir in die Augen schaute, sah ich sowohl Abscheu als auch Mitleid in seinem Gesicht.
Er ließ sich auf seinen Stuhl nieder. Ich glaubte, er würde nicht mehr mit mir reden.
Er schaute mich an. »Ich habe zu viel von dir erwartet.«
Ich biss mir auf die von der Reitpeitsche gespaltene Lippe. Nur das hielt mich davon ab, lauthals aufzuschreien.
»Ich habe deinen Charakter falsch eingeschätzt. Ich habe Valentin Rochefort gesehen, und ich habe ihn für mehr als den üblichen Ex-Soldaten und Mörder gehalten … Ich habe geglaubt, er sei es wert, vor dem Galgen bewahrt zu werden.« Er wechselte wieder ins Formelle, und das traf mich nur umso mehr. »Als Ihr mir gedient habt, Monsieur, habe ich geglaubt, Ihr würdet über ein ungewöhnliches Maß von Mut verfügen. Nun sehe ich jedoch, dass dem nicht so ist.«
Wenn ich ihm aufrecht stehend gesagt hätte, die Königin habe mich eingeschüchtert, er hätte mir nicht geglaubt. Mit Monsieur Rochefort auf den Knien konnte er sich jedoch jedes einzelne Detail vorstellen. Und er glaubte es … O ja, er glaubte es!
Mehr als alles andere auf der Welt sehnte ich mich danach, aufzuspringen und zu rufen: Ich habe Euch nie verraten! Ich kaute auf meiner zerschundenen Lippe, legte den Kopf auf die Arme und weinte.
Er wird das für Furcht halten.
»Ihr habt mir Briefe geschickt«, sagte er leise. »Jetzt erinnere ich mich an sie. Euer schlechtes Gewissen? Aber … deshalb werde ich Euch nicht hängen lassen.«
Ich hatte das Gefühl, als hätte ich einen Schlag in die Magengrube bekommen. Ich konnte nicht anders, als den Kopf zu heben und ihn anzustarren. Der Herzog erwiderte meinen Blick. In seinem Gesicht lag kein Zorn mehr, nur Verachtung.
Er seufzte.
»Wenn nicht Ihr … dann hätten sie einen anderen Mann gefunden. Paris ist voller schwacher, brutaler Männer, die man mit Drohungen und Gewalt zu etwas zwingen kann. Geht wieder dorthin zurück, woher Ihr gekommen seid, Valentin Rochefort.«
Ich würde ihn nie wiedersehen, das wusste ich. Egal, wie lange wir beide noch leben mochten; der Duc de Sully und sein Mann Rochefort würden sich nie wieder begegnen.
Er erhob sich von seinem Stuhl, und ich, noch immer auf den Knien, packte seine Hand und küsste sie.
»Weder Gnade noch Vergebung«, sagte er kalt. »Ich verstehe Euch. Seid damit zufrieden.«
Er hob die Stimme.
»André! Werft diesen Herrn hier hinaus.« Er hielt kurz inne und fügte dann hinzu: »Und warnt die Männer. Er soll Villebon lebend verlassen.«
Rochefort: Memoiren
Achtundvierzig
»Ich habe immer noch geglaubt, ich würde nur ein Grab finden.« Mademoiselle Dariole zog ihre Reithandschuhe aus, als sie den Raum betrat. »Und Männer wie Ihr bekommen normalerweise kein Grab.«
Ich starrte von dem Rollbett zu ihr hinauf.
Nach einer atemlosen Sekunde und mit großer Mühe gelang es mir, spöttisch und normal zugleich zu klingen. »Ja, Mademoiselle, da habt Ihr wohl Recht. Männer wie ich werden hinter Hecken geworfen oder mit dem Gesicht nach unten in den Straßengraben, wo sie verrotten, bis sie kaum noch zu erkennen sind.«
Ein Rollbett ist viel zu klein für einen Mann von meiner Statur, selbst wenn ich mich wie nun unter Schmerzen aufrichtete, um mich mit dem Rücken gegen die Wand dahinter zu lehnen. Ich dachte: Wie kann sie hier sein?
Könnte Fludd …? Nein, dazu war nicht genügend Zeit.
»Ich habe in Sully-sur-Loire nach Euch gefragt. Und in Rosny. Und schließlich in Villebon …«
Der Boden knarrte unter ihren Stiefeln, als sie zum Fenster ging. Ich sah, wie sie nach den Fensterläden griff, den schlanken Leib streckte und sie öffnete.
Sonnenlicht strömte herein.
Sie drehte sich um, doch selbst mit der Hand über den Augen zum Schutz vor dem Licht, konnte ich sie nur als Schatten sehen. Ihre ruhige Stimme schien direkt aus der Sonne zu kommen.
»Ein Wirt in Villebon hat mir gesagt, dass sie einen Mann ein, zwei Meilen den Fluss hinuntergejagt hätten, ›nur so zum Spaß‹. Seitdem seid Ihr weit gekommen.«
Ich senkte die Hand. Das Sonnenlicht traf mich voll, und meine Augen schmerzten.
»Grundgütiger!«, sagte Darioles Stimme aus dem Licht so kraftvoll, dass ich nicht wusste, ob es Ekel oder Mitleid war. Aber was
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