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1610 03 - Soehne der Zeit

1610 03 - Soehne der Zeit

Titel: 1610 03 - Soehne der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Gentle
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es auch war, es gefiel mir beides nicht. »Gütiger Gott im Himmel!«, sagte sie noch einmal.
    »Er hat ihnen befohlen, mich leben zu lassen.«
    »Dieser verdammte Hurensohn. Euer Auge …«
    »Es ist noch immer ein Auge – zumindest sagt das der Arzt.« Ich hielt meine Stimme so ruhig wie möglich und vermied es, nach dem Verband zu greifen. »Erst wenn die Schwellung zurückgegangen ist, werde ich wissen, ob ich noch damit sehen kann.«
    Dariole schwieg. Ich wurde mir peinlich bewusst, dass ich im Nachthemd vor ihr saß.
    Als sie wieder sprach, tat sie das in einem bewusst gelassenen Tonfall. »Deshalb versteckt Ihr Euch also hier, hm? Sagt es mir nicht … Ihr seid immer noch viel zu eitel, als dass Ihr zulassen würdet, dass man Euch so sieht, stimmt's?«
    »Das, und außerdem will ich nicht am nächsten Baum aufgehängt werden.« Ich beschattete meine Augen erneut, versuchte, Dariole zu erkennen, und fügte säuerlich hinzu: »Oder zumindest habe ich geglaubt, dass ich mich versteckt hätte.«
    Was ein Mann ist, definiert sich über die Gesellschaft, in der er sich bewegt. Wäre ich noch immer Valentin Raoul St. Cyprian Anne-Marie de Cossé Brissac gewesen, hätte sie sofort gewusst, dass sie mich unter dem Adel hätte suchen müssen, in den Schlössern der Loire. Hätte ich mich als Kaufmann verkleidet, hätten die Fährleute und Flussschiffer ihr weitergeholfen; wäre ich als Bürger gegangen, hätten es die Advokaten und Doktoren getan. Valentin Rochefort selbst hätte sich jenen angeschlossen, die dem Adel dienten, und sich mit ihnen in den großen Städten vergnügt: Spieler, Huren und Fechter in Blois und Tours.
    Ich habe gedacht, hier unter den Bauern sei ich anonym, sinnierte ich. Offensichtlich hatte man sie jedoch gut genug bestochen, um mich zu verraten.
    Dariole kam vom Fenster wieder zurück. Nun, da sie mir näher war, konnte ich sie deutlich erkennen. Ein junger, adretter Mann mit kleinem Kragen an einem modisch bestickten Wams. Sie trug eine Pluderhose und Rapier und Dolch am Gürtel. Sie hatte keinerlei Aufwand betrieben, sich zu verkleiden, nur ihr Haar ein wenig gefärbt. Da sie auch darauf verzichtet hatte, ihre Oberlippe einzufärben, sah sie nun einfach glatt rasiert aus.
    Ich sehne mich danach, ihre warmen Hände zu berühren, dachte ich und blickte vom Bett zu ihr hinauf. Und ich darf nicht.
    Sie nahm das Rapier aus dem Weg und setzte sich aufs Bett. Der Rahmen knarrte, und die Strohmatratze verrutschte. Ihr Blick wanderte unablässig über mein Gesicht.
    »Allmählich bereue ich, dass kein Spiegel in der Nähe ist«, sagte ich und versuchte, spöttisch zu klingen.
    »Sully hat Euch nicht vergeben!« Sie hatte etwas Parteiisches in den Augen, das mich schmerzte und zugleich zum Lachen verführte – hätte Lachen mir nicht aller Wahrscheinlichkeit nach große Schmerzen bereitet.
    »Nein, Mademoiselle«, bestätigte ich.
    »Aber er muss doch verstanden haben …!«
    »Er hat verstanden, dass Valentin Rochefort ein Diener ist, den man aufgrund seiner Feigheit dazu hat zwingen können, ihn zu verraten.«
    Sie öffnete den Mund, um wütend etwas darauf zu erwidern, doch ich brachte sie zum Schweigen, indem ich ihre Hand ergriff. Dieses eine Vorrecht, ihre Hand zu berühren, wollte ich mir nun doch herausnehmen. Mehr nicht.
    »Mademoiselle … Es gibt weit Schlimmeres, was Messire de Sully denken könnte. Er hat sich im Charakter eines Mietlings geirrt. Das ist alles.«
    Dariole blickte auf meine Finger, und ich spürte, wie ihr Daumen sanft über die Schwellungen glitt. Sie waren inzwischen gelb und kränklich grün, aber wenigstens nicht mehr schwarz wie noch vor einer Woche. Es überraschte mich, dass ihre Berührung mich nicht schmerzte.
    Sie sagte: »Ihr habt es ihm nicht erzählt.«
    Ich seufzte. »Nein. Und Ihr werdet auch nichts sagen, Dariole.«
    Sie schaute mich unter ihren hellen Wimpern hervor an. »Nun … Vielleicht hattet Ihr diesmal ja Recht damit, für einen anderen die Entscheidung zu treffen.«
    Als kleinen Trost hatte ich mir den Gedanken bewahrt, dass Messire de Sully vielleicht doch mit der ersten Einschätzung meiner Person Recht gehabt hatte, auch wenn er selbst das nicht mehr glaubte. In Mademoiselle Darioles Augen zu sehen, dass sie mein Handeln guthieß, entmannte mich fast.
    Dariole wechselte das Thema. »Ich habe mit dem Barbier gesprochen, der hier den Bader spielt.«
    Ich hatte schon vermutet, dass die Bauernfamilie einen Doktor oder eine Kräuterhexe gerufen

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