1610 03 - Soehne der Zeit
Augenblick zum Lachen bringen konnte – und zu wissen, warum das nötig war –, rührte mich über alle Maßen, sodass ich es kaum ertragen konnte.
»Ich mag ja falsch handeln, aber ich kann nicht von Euch getrennt sein«, sagte ich. »Ich würde alles darauf verwetten: Egal wie glücklich Ihr hier auch sein mögt, ich kann Euch glücklicher machen. Ich bin alt und arm, und ich werde Euch niemals den Schutz eines Marschallsohns von Frankreich anbieten können, aber ich kann einfach nicht ohne Euch sein! Und vielleicht wird es mir ja gelingen, unser Schicksal in der Zukunft zum Besseren zu wenden.«
»Ja, vielleicht …«, erwiderte sie und ergriff meine Hand.
Es dauerte nicht lange, und wir saßen auf und waren vom Gut geritten, ohne dass irgendjemand uns bemerkt hätte. Aber erst als gut eine Meile der Straße hinter uns lag, wurde es mir voll bewusst.
»Trotzdem«, sagte Dariole nachdenklich und schaute mich an, »ich hätte Euch dazu zwingen müssen, mich anzubetteln, Euch zu begleiten. Auf Euren Knien, Messire. Angemessen gedemütigt. Vielleicht später. Das wird Euch gefallen … und mir auch.«
»Wie es scheint, werde ich fortan ein Leben der Unterwürfigkeit führen«, sagte ich.
»Nur wenn Ihr mich brav darum bittet.«
»Verabscheuungswürdige Kreatur.«
Sie grinste.
Ich erwiderte das Lächeln, wurde dann aber wieder ernst.
»Wisst Ihr, wie ich mich in Eurer Gegenwart fühle, Mademoiselle?«
Ich sah, wie sie beschloss, keinen Scherz darüber zu machen. Sie schaute mich mit klarem Blick an, während ich Knie an Knie mit ihr die Straße hinunterritt. »Wie?«
»Nackt … und beschämt … und akzeptiert.«
Sie zögerte einen Moment und dachte nach.
»Ja, Messire. Mir geht es genauso.«
Sie warf mir jenen Blick zu und nickte auf jene Art, die ich sogar mit geschlossenen Augen sehe und die ich auf immer in meinem Herzen trage.
Ohne Titel
[Anm. des Übersetzers: Dieses Dokument, wenn auch nicht diktiert, stammt meiner Auffassung nach von Mademoiselle de la Roncière. Die Handschrift ist zart, kaum lesbar, aber entschlossen; die Feder hat sich tief in das Papier gegraben.
Dass der Text das Feuer überlebt hat, deutet daraufhin, dass er stets in sicherer Verwahrung war und erst nach dem Versuch, die anderen Dokumente zu zerstören, in die Kiste gelangt ist.
Die Geschichte überlebt durch Zufälle wie diesen: durch die zufälligen Taten unbekannter Menschen.]
Messire Rochefort erreichte ein gutes, hohes Alter. Er war knapp über siebzig, als er starb. Ich war Mitte vierzig. Nach der Beerdigung habe ich meine Hose ausgezogen und seitdem nur noch Röcke getragen.
Kurze Zeit später habe ich wieder geheiratet, da es für meine Familie von Nutzen war, die mich wortlos wieder aufgenommen hatte. Mein zweiter Ehemann schenkte mir zu unser beider Überraschung ein Kind: eine Tochter. Mutter zu werden, machte mich nervös, und es kam mir wie Verrat vor. Nach der Geburt wurde ich irgendwie zu jemand anderem, bis sie sechzehn Jahre später selbst geheiratet hat. Ich veranstaltete Salons in Paris und anderen Städten, vorgeblich, um dort über die Wissenschaften und die Philosophie zu reden, doch in Wahrheit um meine Kontakte zu anderen Mitgliedern der Rosenkreuzer zu verschleiern. Die ganze Zeit über, da ich sie führte und mich zugleich um die kleine Arcadie kümmerte, dachte ich weder an Rochefort noch sprach ich über unsere gemeinsame Zeit.
Nein, das ist eine Lüge. Ich habe mir geschworen, hier nicht zu lügen. Ich habe nur noch wenig Zeit, erst recht für Unwahrheiten. Ich habe Messire Rochefort jeden Tag meines Lebens vermisst. Ich habe jeden Tag an ihn gedacht. Mein Herz schmerzte unablässig wie ein fauler Zahn. Zusammen mit meinem Gemahl kümmerte ich mich um die Erziehung meines Kindes und ordnete allein die Angelegenheiten der Rosenkreuzer, doch nichts davon linderte meinen Schmerz.
Tatsächlich hegte ich ihn sogar. Er bewies mir, dass ich einst gelebt hatte.
Die Fähigkeiten, die ich in vierzig Jahren gelernt hatte, nutzte ich unablässig, um in Übung zu bleiben, wenn auch meist in häuslichen Angelegenheiten. So ist es als Matriarchin nicht schwer, das Familienvermögen zu kontrollieren, sowie Einfluss darauf zu nehmen, in was für eine Familie von Macht und Position die Tochter einheiratet. Was das betrifft, so habe ich alles mit einer gewissen Kaltblütigkeit eingefädelt. Ich fürchte, entweder wird mein Beispiel sie entmutigt haben oder aber sie wird ebenso kaltblütig handeln, wenn
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