1615 - Allee der Toten
störungslos.
Irgendwann erwachte ich doch und hörte Sukos Lachen.
»In spätestens zehn Minuten hätte ich dich sowieso geweckt.«
»Das heißt, wir sind gleich da.«
»Genau.«
Ich schaute aus dem Fenster und sah eine Landschaft, die ausschließlich aus Natur bestand. Sanfte Hügel, noch winterliche Wiesen, einen kleinen Teich und ein großes Hinweisschild zu einem Campingplatz, der am Rande der Danger Zone lag. Dort wollten wir später hin, und Suko lenkte den Wagen in eine Linkskurve, in die auch die Spitze eines Schildes wies mit der Aufschrift des Ortes, der unser Ziel war.
Ein schwerer Bus verdeckte uns die Sicht. Er verschwand gleich darauf und wir blickten weit über die schmale Straße hinweg, die dorthin führte, wo sich die Umrisse der Häuser abmalten.
Ich fragte halblaut, ob das schon der Beginn der Allee war. Die Antwort gab ich mir selbst. Nein das konnte sie nicht sein, denn es fehlten die Bäume. Es gab noch einen Hinweis auf den Campingplatz, der im Sommer sicherlich gut besucht war, jetzt aber im Winterschlaf lag. Dann rollten wir nach Bellever hinein. Was sollte man zu diesem Ort sagen?
Wir kannten uns in derartigen Orten aus, irgendwie waren sie alle gleich.
Kleine Häuser, von denen manche schon über hundert Jahre alt waren.
Es war eine recht feuchte Gegend, und in der Luft hing ein leichter Dunst.
Ausgestorben war der Ort nicht. Leute hielten sich im Freien auf, die uns natürlich sahen und dem Rover nicht eben die freundlichsten Blicke zuwarfen. Nicht alle Straßen waren gepflastert. Nur die breite, über die wir in den Ort fuhren. Die Wege, die abzweigten, waren sandige Pisten ohne Gehsteige. Ich deutete auf eine Seitenstraße. An deren Ende war mir ein größeres Haus aufgefallen, das neben einer kleinen Kirche stand.
»Fahr mal dort hinein, bitte.«
»Mach ich doch glatt.«
Dass die Gegend sehr feucht war, konnten wir an den Fassaden der Häuser erkennen. Mochten sie früher mal grau oder auch weiß gewesen sein, so war das im Laufe der Jahre verschwunden. Die Feuchtigkeit hatte dafür gesorgt, dass sie mit einer grünen Patina bedeckt waren, die sich hoch bis zu den Dächern zog. Kleine Fenster, von denen viele weit offen standen, damit die Räume gelüftet werden konnten. Zwei ältere Männer, die Pfeife rauchten, schauten uns nach, wie wir über den unebenen Untergrund auf die Kirche und dem neben ihr stehenden Haus zufuhren. Vor der Kirche gab es einen großen Platz, auf dem wir parken konnten. Der Boden war mit einer dünnen Grasschicht bewachsen, und als wir ausstiegen, da fiel uns auf, dass auch die Kirche und das Haus daneben von einer schwachen grünen Schicht bedeckt war. Wir stiegen aus.
Als Suko die Tür zudrückte, fragte er: »Was hast du jetzt vor?«
»Mit jemandem reden.«
Er schaute sich um. »Glaubst du, dass wir hier einen Menschen finden, der uns Auskunft geben kann?«
Ich drehte mich auf der Stelle. »Ich denke eher daran, dass es dort, wo eine Kirche steht, auch einen Pfarrer gibt. Wir können ja mal schauen.«
»Gut. Jedenfalls müssen wir jemanden finden, der uns den Weg zur Allee der Toten zeigen kann.«
Die Kirche war nicht groß. Sie sah verlassen aus, ebenso wie das Haus in ihrer unmittelbaren Nähe. Den grünen Schimmer auf ihrer Fassade hatten beide Bauten. Wir mussten uns entscheiden, wo wir zuerst hingehen sollten. Das Problem stellte sich sehr bald nicht mehr, denn es wurde eine Tür geöffnet. Nicht die an der Kirche, sondern am Haus.
Ein Mann trat ins Freie. Er war recht groß. Auf seinem Kopf wuchs eine Haarflut, die aussah wie helle Asche und auch die Ohren bedeckte. Wir waren ihm aufgefallen, denn nach dem Verlassen des Hauses blieb er stehen und stutzte. Nicht mal die Tür zog er wieder zu.
»Das ist kein Pfarrer«, meinte Suko.
»Stimmt. Aber ich könnte mir vorstellen, dass er etwas zu sagen hat und uns weiterhelfen wird.«
»Mal schauen.«
Suko hatte mit seiner Skepsis schon irgendwie recht. Von Besuchen in ähnlichen Orten wussten wir, dass uns die Einwohner oft mehr als misstrauisch gegenüberstanden, bis hin zur offenen Feindseligkeit.
Als wir uns dem Mann näherten, versuchte ich in seinem Gesicht abzulesen, was er wohl dachte.
Es war schwer, wenn gar unmöglich. Da regte sich nichts in seinen Zügen. Seine Gesichtshaut zeigte eine gesunde Bräune. Der Mund wurde von breiten Lippen gebildet, und die kräftige Nase sprang aus seinem Gesicht hervor wie ein Erker. Die Augen schauten uns starr an, und er hatte sie
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