1615 - Allee der Toten
nickte, bevor er sprach. »So heißt der Film, der hier gedreht wurde.«
»Sehr richtig. Und wir sind gekommen, um uns diese Straße mal aus der Nähe anzusehen.«
Dazu sagte Wade nichts. Er presste seine Lippen fest aufeinander. Mit seiner Erwiderung wich er vom Thema ab.
»Ich wollte der Polizei sowieso Bescheid geben, dass wir hier einen Toten gefunden haben.«
»Einen Mann, der ermordet wurde«, sagte ich.
»Woher wissen Sie das? Ich habe keine Verletzung gesehen. Er wurde nicht erschossen und nicht erstochen, sodass…«
»Glauben Sie uns, Mr. Wade, es gibt auch noch andere Arten, wie man einen Menschen vom Leben in den Tod befördern kann. Und das auf einer Straße, die sich Allee der Toten nennt.«
Er streckte uns seine Hand entgegen. »Das können Sie halten, wie Sie wollen. Nicht bei uns.«
»Wieso?«
Er schüttelte den Kopf. »Wir haben keine Straße und auch keinen Weg hier in Bellever so genannt. Der Begriff Allee der Toten stammt von diesen Filmleuten. Sie haben dem Streifen doch den Namen gegeben.«
»Das stimmt. Aber sie haben es nicht ohne Grund getan. Hier muss es etwas geben.«
»Was denn, Mr. Sinclair?«
»Möglicherweise ein Haus, das sich am Ende dieser Allee befindet. Oder liege ich da verkehrt?«
Er wollte nicht sofort mit der Antwort herausrücken. Er räusperte sich und hob seine Schultern an, bevor er nickte und sagte: »Ja, dieses Haus gibt es wirklich.«
»Sehen Sie…«
»Und was hat es damit auf sich?«, wollte Suko wissen.
»Na ja, es ist ein altes Haus. Verlassen, noch nicht verfallen. Ein Haus, um das sich niemand kümmert.«
»Und wem gehört es?«
»Keinem aus dem Ort.«
»Sondern?«
Jason Wade schwieg. Er schaute uns nur an. »Sie wissen es nicht?«
»So ist es. Es steht schon lange leer, und es wird sich wohl auch kein Käufer finden.«
Es war fraglich, ob wir ihm das glauben sollten. Aus Erfahrung wussten wir, dass von uns befragte Menschen oft genug die Wahrheit für sich behielten, weil sie sich nicht trauten, sie laut auszusprechen. Das konnte auch hier der Fall sein. »Und Sie interessiert das Haus nicht - oder?«
»So ist es. Keiner aus dem Ort hat Lust, sich darum zu kümmern. Es ist irgendwie vergessen worden.«
»Bis auf das Filmteam«, sagte ich. »Für die Leute war es der ideale Drehort, nicht wahr?«
»Ja, so sah es aus. Aber mehr weiß ich nicht. Wir haben zu den Leuten wenig Kontakt gehabt. Das war nicht unsere Welt.«
Wir glaubten ihm, aber wir waren noch nicht fertig mit ihm, denn ich wollte wissen, warum die Straße Allee der Toten genannt worden war.
»Das dürfen Sie mich nicht fragen. Ich habe den Namen nicht erfunden. Es war auch niemand aus dem Ort. Das haben einzig und allein die Leute vom Film getan.«
»Hat Sie das nicht gewundert?«
Jason Wade schüttelte den Kopf. »Darüber habe ich nie nachgedacht. Ich kann Ihnen nur noch mal versichern, dass wir mit diesen Fremden nichts gemeinsam hatten. Sie waren so anders. Sie haben auch nicht hier gewohnt, sondern in ihren Wohnwagen. Der Campingplatz ist ja nicht weit von hier entfernt.«
»Wer hatte denn überhaupt Kontakt mit ihnen?«, fragte Suko.
»Die Geschäftsleute aus Bellever. Wir haben hier einen Bäcker, einen Metzger und auch ein Geschäft, in dem Lebensmittel verkauft werden. Auch wenn es nicht so aussieht, aber hier herrscht im Sommer manchmal sehr viel Betrieb. Und die Camper wollen essen und trinken. Auf dem Platz selbst gibt es keinen Laden. Nur einen Kiosk für Kleinigkeiten.«
Uns waren die Geschäfte nicht aufgefallen, doch danach fragte ich nicht, denn etwas anderes war mir wichtiger.
»Sagen Sie uns, wo wir die Straße oder die Allee der Toten finden können. Im Ort ist sie ja wohl nicht.«
»Das trifft zu.«
»Wo müssen wir hin?«
Jason Wade zierte sich etwas. In seinem Gesicht arbeitete es. Er wischte über sein linkes Auge und gab die Antwort mit leiser Stimme.
»Sie müssen aus dem Ort hinaus, aber nicht auf der Hauptstraße. Es ist eine Nebenstrecke.«
»Gut, Mr. Wade. Und wo finden wir sie?«
Er drehte sich nach rechts und wies mit dem Arm und dem ausgestreckten rechten Zeigefinger auf ein schmales Band, das bei schärferem Hinsehen als Weg zu erkennen war.
»Der Weg führt durch einen kleinen Wald. An seinem Ende mündet er dann in die Straße, die Sie suchen.«
»Und am Ende der Allee finden wir auch das Haus - oder?«
»Ja.«
»Danke«, sagten wir wie aus einem Mund.
Jason Wade war noch nicht fertig.
»Wollen Sie denn jetzt schon
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