1615 - Allee der Toten
sah ich an der linken Straßenseite den Teich. Ein mit Wasser gefüllter Kreis, dessen Farbe in einem Blaugrün schimmerte. Auch Suko hatte das kleine Gewässer gesehen. »Vielleicht hat man Frank Morgan hier ertränkt.«
»Das ist auch möglich. Seine Kleidung hätte in der Zwischenzeit gut trocknen können.«
»Du sagst es.«
Was uns beiden auffiel, war die Stille. Und es kam noch etwas hinzu.
Obwohl wir nichts sahen, hatten wir beide das Gefühl, dass in der Nähe eine Gefahr lauerte. Dieses Ahnen oder Wissen eignet man sich im Laufe der Zeit an. Kein fremder Laut war zu hören. Nur das Geräusch unserer eigenen Schritte begleitete uns. Der Dunst, den wir im Ort in der Luft liegen gesehen hatten, war hier nicht vorhanden. Nur direkt über dem Teichwasser war die Luft nicht mehr so klar. Schritt für Schritt bewegten wir uns über die Allee der Toten hinweg. Kein Laut störte die Stille, und mir fiel jetzt auf, dass kein Vogel mehr sang. Das war dort, wo wir Jason Wade getroffen hatten, anders gewesen. Hier herrschte die Stille vor. Mir kam der Verdacht, dass mich der Regisseur kurz vor seinem Tod von dieser Allee aus angerufen hatte.
Woher er meinen Namen und meinen Beruf wusste, das war nicht mehr wichtig. Dafür etwas anderes, das mir ebenfalls nicht aus dem Kopf wollte. Da waren drei junge Menschen verschwunden. Eine Frau und zwei Männer, die im Film mitgespielt hatten. Wie vom Erdboden verschlungen waren sie weg gewesen, nachdem sie das Haus betreten hatten.
Aber hatten sie sich noch melden können?
Der Gedanke wollte mich nicht loslassen. Ich erinnerte mich an die Stimmen. Es war mir nicht deutlich geworden, wer sich da gemeldet hatte und ob es mehrere Personen gewesen waren. Mein Verdacht allerdings näherte sich einem bestimmten Punkt, denn für mich war es möglich, dass es die Stimmen der drei Akteure gewesen waren.
Ich hatte nicht auf die Anzahl der Schritte geachtet oder auf die zurückgelegten Meter, als Suko stehen blieb und sich umdrehte. Er war vor mir her gegangen, aber mehr auf der rechten Straßenseite.
Er deutet auf meine Brust. »Und? Hast du was gespürt?«
»Nein. Kein Kontakt.«
»Dann werden wir ihn im Haus haben.«
»Abwarten.«
»Gut.« Suko setzte seinen Weg fort. Ich ging ebenfalls - und kam nur drei Schritte weit, weil ich plötzlich und grundlos mit dem rechten Bein einknickte. Ich unterdrückte einen Fluch, stellte mich wieder gerade hin, um meinen Weg fortzusetzen, als ich die Veränderung bemerkte, die sich zwischen mir und dem Haus aufgetan hatte.
Ich sah auf Sukos Rücken, aber ich hatte das Gefühl, nicht mehr in seiner Nähe zu sein. Zugleich erlebte ich einen eisigen Strom an meiner Brust, und der ging von meinem Kreuz aus.
Es erschreckte mich stark, denn normalerweise meldete sich das Kreuz durch Wärmestöße. Wenn das Gegenteil eintrat, konnte das bedeuten, dass etwas Böses, das Urböse, in der Nähe lauerte, um mich zu übernehmen. Das hatte ich schon mehrmals erlebt. Luzifer?
Ich war kein unbedingt furchtsamer Mensch, aber seine Nähe konnte auch mir Angst einjagen.
Ich wollte meinen Weg fortsetzen, was mir zwar gelang, aber trotzdem nicht möglich war. Ich ging zwar, kam aber nicht von der Stelle, so sehr ich mich auch bemühte. Was war das?
Ich starrte nach vorn, sah nichts anderes als sonst, aber ich sah es verzerrt und hatte das Gefühl, in einer anderen Welt oder Dimension gefangen zu sein.
Und einen Moment später zirkulierten die Stimmen wieder durch meinen Kopf. Ich verstand sogar, was sie mich fragten.
»Erkennst du uns noch, John Sinclair?«
***
Suko wünschte sich zwar nicht unbedingt, dass etwas passierte, aber dass gar nichts geschah, darüber wunderte er sich schon. Er ging trotzdem weiter und war natürlich auf der Hut.
Was er hier erlebte, das war für ihn noch nicht nachvollziehbar. Es war zwar okay, dass er sich auf das Haus zu bewegte, aber Feinde, Gegner oder ein Motiv waren bisher nicht zu erkennen. Wenn es überhaupt eine Macht gab, hielt sie sich im Hintergrund verborgen.
Er war dem Haus schon recht nahe gekommen, und der abweisende Eindruck, den es auf ihn machte, verstärkte sich noch. Es gab viel Mauerwerk und einige Fenster, die in ihrer Form tatsächlich eher zu einer Kirche gepasst hätten. Auch die Tür erinnerte daran. Sie war recht breit und lief nach oben hin ebenfalls halbrund zu. Suko wollte das Haus nicht allein betreten, deshalb stoppte er vor der Tür, weil er auf John Sinclair warten wollte. Er drehte sich
Weitere Kostenlose Bücher