1616 - Mörderengel
»Endlich, Glenda, das wurde auch Zeit.«
Sie lachte, doch es klang nicht echt, das hörte ich sofort. »Was ist denn? Habt ihr gedacht, ich würde euch im Stich lassen?«
»Es hat nur etwas gedauert.«
»Das ist nun mal so, wenn man sich auf einem Terrain bewegt, das nicht zu dem normalen gehört.«
Ich ging auf sie zu. »Zum Glück bist du da.«
»Klar.«
»Und? Wie sieht es aus?«
»Ich habe diesen Mörderengel bisher nicht zu Gesicht bekommen. Er verhält sich sehr geschickt, das muss man ihm lassen.«
»Glaubst du denn, dass er überhaupt in London ist und sich in der Nähe des Yard Building herumtreibt?«
»Davon gehe ich aus. Er hat uns Angst machen wollen, und ich weiß auch, dass ich ihn nicht unterschätzen darf. Das alles müssen wir in die Waagschale werfen, ebenso, dass ich Sir James allein zurückgelassen habe.«
»Aber er hat die Krone der Ninja«, meldete sich Suko. »Oder sehe ich das falsch?«
»Nein, siehst du nicht.« Glendas Gesicht zeigte plötzlich einen etwas zweifelnden Ausdruck. »Ich hoffe nur für ihn, dass er sie auch aufsetzen wird.«
»Was sollte ihn davon abhalten?«
»Er selbst. Sein Ego. Sir James ist ein Mann des Hintergrunds. Sich jetzt mit Dingen zu beschäftigen, die eigentlich nicht zu ihm passen, dazu muss er sich erst mal überwinden.«
»Ist ihm denn der Ernst der Lage nicht klar?«
»Das hoffe ich doch.«
Ich kam wieder zum Thema zurück. »Rasmus ist also für euch noch nicht sichtbar gewesen.«
»Ja.«
»Dann können wir darauf hoffen, dass dies so geblieben ist, und sollten so schnell wie möglich bei ihm sein.«
Glenda streckte uns als Antwort ihre Hände entgegen. Wir wussten, was diese Geste bedeutete, und gingen zu ihr. Suko umfasste ihre linke Hand, ich die rechte.
Sie war leicht feucht. Auch Glenda stand unter Strom. Wir waren jetzt dicht bei ihr, und wir wussten, was uns erwartete. Sie musste sich wahnsinnig konzentrieren und dafür sorgen, dass dieses Serum in ihrem Körper zu arbeiten begann und seine mächtigen Kräfte entfalten konnte.
Ich schloss die Augen, sodass Glendas angestrengtes Gesicht verschwand. Ich hörte sie noch flüstern, dann durchfuhr mich ein warmer Strom, und ich fühlte mich plötzlich so leicht, als hätte ich mein gesamtes Gewicht verloren.
Ich spürte keinen Stoß, keinen Anschub, einfach nichts und wusste doch, dass die Umgebung, in der wir gestanden und den Rover zurückgelassen hatten, nicht mehr vorhanden war…
***
Sir James konnte es nicht glauben, dass der Mörderengel nicht mehr zu sehen war.
Er fragte sich, welchen Weg Rasmus einschlagen würde und welches Ziel er dabei hatte.
Die Antwort war leicht. Er wollte John Sinclair und auch Suko töten, und da war sein Ziel klar.
Der Superintendent saß wie festgeklebt auf seinem Stuhl. Unternehmen konnte er nichts. Er musste erst mit bestimmten Vorgängen fertig werden.
Die Bürotür war hinter Rasmus nicht zugefallen. Sie stand spaltbreit offen. Eine zu geringe Lücke, um in den Gang schauen zu können. So wusste Sir James nicht, ob sich der Mörderengel nach rechts oder nach links gewandt hatte. Wenn das Büro der beiden Geisterjäger sein Ziel war, dann musste er sich nach rechts wenden.
Sir James stand auf. An die Krone hatte er sich gewöhnt. Der Druck ließ sich aushalten, er spürte kaum etwas. Obwohl sich niemand in seiner Nähe befand, setzte er sein Vorhaben, sich so leise wie möglich zu bewegen, in die Tat um.
Kein verräterisches Geräusch hinterlassen. Dieser Mörderengel hatte sicher scharfe Sinne.
Vor der Tür blieb er stehen. Konzentration. Er fasste mit der rechten Hand zu und zog sie auf.
Sir James atmete tief durch. Er fühlte sich beinahe erleichtert, und plötzlich hatte er wieder Mut gefasst.
Er ging einen Schritt vor und blickte in einen leeren Flur. In dieser Ebene herrschte sowieso wenig Betrieb.
Sir James blieb weiter vorsichtig. Er hielt sich noch in der Nähe seiner Bürotür auf, als er hinter sich ein Geräusch hörte. Im ersten Moment dachte er, reingelegt worden zu sein. Kälte und Hitze zugleich schössen durch seinen Körper, und er drehte sich so schnell wie möglich um.
Seine Augen weiteten sich.
Er hatte tatsächlich Besuch bekommen.
Drei Menschen standen in seinem Büro. In diesem Augenblick kamen sie ihm ebenfalls vor wie Engel…
***
Die Reise war vorbei. Es war alles blitzschnell abgelaufen, und in der kurzen Sequenz hatte ich das Gefühl für Zeit völlig verloren.
Glenda Perkins hatte ihr Ziel nicht
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