1617 - Blutlust
erkannte sie in den Gesichtern den Ausdruck der Skepsis.
»Nicht begriffen?«
Eine Frau, deren frei liegender Bauchnabel gepierct war, trat einen Schritt vor. Sie pustete eine lila gefärbte Haarsträhne aus ihrer Stirn und fragte: »Was hast du genau vor? Ist dein Tanz beendet?«
»Beinahe.«
»Und was erwartet uns noch?«
»Der Höhepunkt. Der Schluss des Tanzes. Die große Veränderung, derentwegen ich bei euch bin. Denn ich will, dass ihr so werdet wie ich, habt ihr gehört?«
Das hatten sie. Trotzdem begriffen sie nichts. Nicht wenige von ihnen schüttelten die Köpfe.
Damit hatte Viola gerechnet, und es machte ihr auch nichts aus. Sie war die Herrin, und sie würde es auch weiterhin bleiben.
Miranda stand in ihrer Nähe. Sie wurde an einer Hand gehalten, war leicht von der Rolle, denn sie schwang im Stehen sachte von einer Seite zur anderen. Als Viola weiter sprach, nahm sie ihre Worte dumpfer wahr als sonst.
»Ich habe Lust«, sprach sie in die Runde. »Ich habe Blutlust, versteht ihr? Und diese Lust oder diese Sucht werde ich stillen. Miranda ist meine Nahrung, und dann seid ihr an der Reihe. Wir alle werden irgendwann von der Sucht nach dem Blut der Menschen existieren und nie mehr Angst vor dem Tod haben müssen. Versteht ihr, was ich euch da gesagt habe?«
Viola hatte damit gerechnet, dass man ihr antworten würde. Das trat nicht ein. Nur eine der Frauen öffnete ihre Lippen, ohne etwas zu sagen.
Aber die Ansprache war nicht ohne Wirkung geblieben. Der Zauber des Tanzes war vorbei. Es gab nicht mehr dieses wohlige Gefühl, und keiner von ihnen war mehr eingelullt. Die Realität hatte sie wieder, und die war kalt und grausam, was ihnen auch gezeigt wurde.
Viola hielt es für ratsam, ihnen ihr wahres Gesicht zu zeigen. So öffnete sie den Mund so weit wie möglich. Da die Frauen keinen Kreis mehr bildeten und sie alle vor ihr standen, gab es keine mehr, die nicht gesehen hätte, wer sie war.
Es gab niemanden unter den Zuschauerinnen, die noch nichts von einem Vampir gehört hatten. Gerade in dieser Zeit war es wieder modern geworden, Vampirgeschichten zu lesen oder sich Filme anzuschauen, in denen die Blutsauger eine große Rolle spielten.
Und jetzt stand eine dieser Wiedergängerinnen vor ihnen. Sie präsentierte ihr Gebiss, aber es war niemand da, der lachte und vermutete, dass diese Zähne unecht waren.
Viola war eine Blutsaugerin. Nicht nur das Gebiss trug zu der Gewissheit bei, auch das Gesicht gehörte dazu, das sich verändert hatte. Sein Ausdruck war verzerrt, zeigte unbeherrschbare Gier.
»Ihr habt mich verstanden?«, flüsterte sie. »Alles klar?«
Eine Antwort erhielt sie nicht. Aber das Nicken reichte ihr aus. Einige der Frauen bewegten zögernd den Kopf.
»Gut, dann fange ich an!«
Was sie vorhatte, bewies sie eine Sekunde später. Noch hielt sie Miranda an der Hand fest, aber es reichte ein kurzer Ruck aus, um die junge Frau an sich zu ziehen.
Miranda wäre gefallen. So aber prallte sie gegen den harten Körper der Blutsaugerin. Sie wurde von kräftigen Armen umschlungen und war nicht mehr in der Lage, sich aus diesem Griff zu befreien.
Sie kam sich vor wie eine Puppe, mit der man anstellen konnte, was man wollte. Und Viola genoss diesen Augenblick. Sie hielt Miranda fest und legte sie sich zurecht.
Wieder schwebte Violas Gesicht über Miranda. Diesmal sah sie es länger, und sie erkannte, dass die beiden spitzen Zähne keine Einbildung waren.
»Dein Blut ist so herrlich frisch. Es wird mir munden. Es wird mir gut tun.« Die Vampirin zeigte ein faunisches Grinsen. Mit einer Hand drückte sie den Kopf noch weiter nach rechts, weil sich die Haut an der linken Halsseite spannen sollte.
Miranda ließ alles mit sich geschehen. Sie versuchte etwas zu denken, auch das klappte nicht, sie sah nur diesen weit geöffneten Mund mit den beiden spitzen Zähnen.
Das war kein Film. Das war die Wirklichkeit. Und sie würde das erleben, was eigentlich nicht wahr sein durfte.
Der Biss und…
»Ich würde es nicht tun!«
Es war eine fremde Frauenstimme, die in die Stille hineinpeitschte und alles änderte…
***
Wir hatten die Bar ungehindert betreten können und waren ungesehen bis zu diesem Durchgang gelangt.
Jetzt sahen wir, was sich etwas tiefer vor uns abspielte.
Es war wie auf einer Bühne. Ein Drama spielte sich dort ab. Die Zuschauerinnen saßen nicht mehr in ihren Sesseln oder lagen auf den Sofas, sie alle umstanden eine Tanzfläche, auf der das Geschehen ablief.
Zwei
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