162 - Das Grauen aus der Baring Road
die Decke bis übers Kinn, als alles von neuem begann. Das rostige Gartentor meldete sich abermals mit einem durchdringenden Kreischen.
Phillis stieß eine wenig damenhafte Verwünschung aus und vergrub den Kopf im Kissen. Da war ein Schaben und Kratzen vor dem Haus, das sie nicht einzuordnen verstand. Offenbar hatte jemand das Grundstück betreten.
Sie richtete sich halb auf, wartete aber vergeblich auf das Klingeln. Statt dessen erklang vom rückwärtigen Eingang her das Splittern von Glas.
Im Nu war die Frau auf den Beinen, schlüpfte in ihre Pantoffeln und warf sich den Morgenmantel über das hauchdünne Neglige, das sie trug. Deutlich war jetzt zu vernehmen, daß jemand ins Haus einzudringen versuchte.
Lautlos öffnete Phillis die Schlafzimmertür, huschte in den Korridor hinaus. Linker Hand lag das leerstehende Gästezimmer mit Blick auf den Gemüsegarten, rechts das Bad und daran anschließend die Treppe. Der Einbrecher befand sich inzwischen im Haus; er bemühte sich nicht einmal, besonders leise zu sein.
Phillis' Gedanken überschlugen sich. Bei ihr gab es nicht viel zu holen - etwas Schmuck, einige Pelze vielleicht. Wer es darauf abgesehen hatte, würde wohl eher in der Nacht einsteigen, wenn er ungestört war. Was wollte der Einbrecher dann? Ihre Finger krampften sich um das hölzerne Treppengeländer. Die kratzenden Geräusche waren lauter geworden, kamen jetzt aus dem Wohnzimmer. Jemand aus dem Milieu? Sie arbeitete überwiegend auf eigene Rechnung, wenn sie zu den Männern im Club nett war. Leider gab es immer wieder Typen, die sich einbildeten, auch ihr teuer zu bezahlenden Schutz aufdrängen zu können.
Phillis' Lippen preßten sich zu einem schmalen Strich zusammen. Sie hatte keine Chance, das Telefon zu erreichen, es war aber auch sinnlos, sich im Schlafzimmer einzuschließen. Ein lautes Klirren aus dem Wohnraum verriet ihr, daß der Einbrecher ganze Sache machte. Entschlossen hastete sie die Treppe hinunter. Der Lärm, dem ein eigenartiges Fauchen folgte, übertönte jedes mögliche Geräusch, das sie selbst verursachte. Auf dem Fliesenbelag der Diele klapperten die Absätze ihrer Hausschuhe. Barfuß lief sie weiter, zur Küche, die dem Kaminzimmer genau entgegengesetzt lag. Aufatmend huschte Phillis durch die halb geöffnete Tür hindurch, zerrte einen der Schübe auf. Das Brotmesser in der Hand, fühlte sie sich ein klein wenig sicherer.
Der Fremde mußte sich nun in der Diele befinden. Der Blumentopf mit der großen Palme wurde umgestoßen und zerbarst klirrend. Das folgende Fauchen jagte Phillis eisige Schauer den Rücken hinab. Es klang, als würde ein Reptil zum Angriff übergehen.
Mit angehaltenem Atem stand die Frau hinter der Tür, das Messer stoßbereit in der Rechten. Sie wußte nicht, ob sie es tatsächlich schaffen würde, sich auf diese Weise zu verteidigen. Sie hoffte es einfach.
Rasselnde Atemzüge näherten sich, begleitet von einem rhythmischen Kratzen auf den Bodenfliesen. Dazwischen immer wieder ein dumpfes, kehliges Fauchen. Vorsichtig lugte Phillis durch den schmalen Spalt zwischen Türblatt und Rahmen hindurch. Sie konnte nicht viel mehr erkennen als eine schemenhafte Gestalt.
Im nächsten Moment wirbelte der Einbrecher herum. Ihr Herz blieb fast stehen, als sie in das aufgequollene, verhornte Reptiliengesicht blickte.
Das Fauchen wurde zum angriffslüsternen, kehligen Grollen.
Eine Maske. Natürlich. Jemand wollte ihr einen Schrecken einjagen, den sie lange nicht vergaß.
.Der Unbekannte hatte sie entdeckt, er entblößte sein Maul voller spitzer Reißzähne. Das Ganze wirkte dermaßen echt, daß Phillis unwillkürlich zurückwich. Sie schwitzte, und das Messer wog plötzlich wie Blei in ihrer Hand.
„Komm mir nicht zu nahe!" Ihre Stimme sollte fest klingen, doch das tat sie nicht. „Die Polizei kann jeden Moment hier sein."
Die einzige Reaktion bestand in einem Prankenschlag, der Teile des Treppengeländers zersplitterte. Das Monstrum war echt, seine Klauen, die Muskeln, die glühenden Augen… Phillis wollte schreien, doch vor Entsetzen brachte sie keinen Ton heraus. Zwei, drei Meter trennten sie noch von der Bestie, deren wütender Hieb die Tür aus den Angeln riß.
Fast gleichzeitig warf Phillis sich vor, stieß mit dem Messer zu. Die gut dreißig Zentimeter lange Klinge splitterte, als sie auf den Schuppenpanzer traf, und ein mörderischer Schlag wirbelte die Frau von den Beinen. Sekundenlang war sie benommen, unfähig, sich zu bewegen. Warm rann es
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