162 - Das Grauen aus der Baring Road
von ihrer Stirn in die Augen; wie durch einen roten Schleier hindurch nahm sie wahr, daß das Ungeheuer sich aufrichtete. Wimmernd schob sie sich zurück. Das alles mußte ein furchtbarer Alptraum sein. Aber sie wachte nicht auf. Ihre Rechte krampfte sich um den Griff des abgebrochenen Messers. Unvermittelt raffte sie sich auf, schleuderte die Klinge dem Angreifer entgegen, warf sich herum und versuchte, wenigstens das Fenster zu erreichen, das in den Vorgarten und damit auf die Straße hinausführte. Ein schmerzhafter Prankenhieb warf sie gegen den Schrank; sie bekam einen Topf zu fassen, wirbelte ihn hoch und schmetterte ihn gegen die Scheibe, die klirrend zerbarst.
Von irgendwoher erklang eine Polizeisirene. Phillis McDermitt griff nach dem Fensterriegel, drehte ihn herum… Aber sie schaffte es nicht mehr, den Flügel zu öffnen. Zwei Krallenhände schlossen sich um ihre Oberarme und zerrten sie zurück. Phillis war viel zu schwach, um sich gegen das Monstrum zur Wehr zu setzen.
Der geifernde Rachen näherte sich ihrer Kehle. Sie sah die blutverschmierten Zähne, sah die tückisch leuchtenden Augen unmittelbar vor sich.
Eine gnädige Ohnmacht ersparte ihr jeden weiteren Schmerz.
Palawaikö taumelte durch eine fremde Umgebung, die er nie zuvor geschaut hatte. In seinem nach Äonen messenden Dasein hatte er sich schon viel Neuem anpassen müssen, und wenngleich die Schwäche ihm zu schaffen machte, war er doch gewiß, daß er es wieder schaffen würde.
Nie zuvor war Palawaikö indes dem Tode so nahe gewesen wie diesmal. Bruchstückhaft zogen Erinnerangen an ihm vorbei - er konnte und sollte sich jetzt nicht auf sie konzentrieren.
Lange Zeit hindurch war er Gefangener der Pima-Indianer gewesen, auf magische Weise in taubes Felsgestein verbannt und von jungen Männern ihres Volkes bewacht. Sie nannten ihn den Dämon des Krummen Berges, hatten ihn erst beschworen, sich dann aber gegen ihn gewandt, als er immer mächtiger wurde.
Trotz allem wäre es ihm fast gelungen, die Freiheit zurückzuerlangen, hätte nicht jener bleichhäutige Krieger, der sich Dämonenkiller nannte, seinen Plan zunichte gemacht. Nur dem Umstand, daß es ihm im Augenblick der höchsten Not gelungen war, sich mit dem Geist seines letzten Wächters zu vereinen, verdankte Palawaikö sein Überleben. In einem faustgroßen Gesteinsbrocken des Krummen Berges hatte er vorübergehend Zuflucht gefunden.
Der erste Schritt war inzwischen getan. Es war ihm gelungen, aus schwarzmagischen Schriftzeichen die Kraft zu schöpfen, sich von dem Stein zu lösen und zu wachsen. Zusammen mit dem Geist seines letzten Wächters Wenn-der-Himmel-weint, den er noch brauchte, um seine Existenz zu erhalten.
Denn Palawaikö existierte von den Lebenskräften der Menschen.
Mit Unbehagen dachte er an das Erwachen. Sein Versuch, sofort einen Sklaven zu finden, war an den vielfältigen gegensätzlichen Kräften gescheitert, die seine Umgebung durchzogen hatten. Einige dieser Kräfte hatten ihm sogar Schmerzen zugefügt.
Trotzdem war es ihm schon kurz darauf gelungen, einen Helfer zu finden und dem Mann das Aussehen zu geben, das er früher selbst besessen hatte. Die Epoche, da viele Indianer nur flüsternd den Namen der Großen Schlange Palawaikö zu nennen wagten, würde wieder lebendig werden.
Nach wie vor nur ein Schatten mit vielen Gesichtern, verharrte der Dämon in einer Hofeinfahrt. Sein erstes Opfer zu verändern, das in einem der seltsamen Wagen ohne vorgespannte Ochsen gefahren war, hatte ihn viel Kraft gekostet. Nun wartete er darauf, daß Jeffrey Slikker seine Aufgabe erfüllte. Schritte näherten sich. Palawaikö vernahm Stimmen. Noch war ihm diese Sprache fremd und nur in ihren Grundzügen einsichtig, aber alles, was er über dieses fremde Land und die Zeit, in der er sich befand, wissen mußte, würde er nach und nach von seinen Opfern erfahren.
Drei der Bleichhäutigen kamen ziemlich schnell um das Haus herum.
„Da, seht doch! Was ist das?" Einer von ihnen stieß den überraschten Ruf aus. Zugleich blieb er stehen und deutete in die Einfahrt.
„Ein Schatten", sagte ein anderer. „Mit zwei Köpfen und vier Armen?"
„Und wenn schon."
„Er bewegt sich…"
„Was ist mit dir, Hank? Willst du dein Auto aus der Garage holen oder nach Gespenstern suchen?". Augenblicke später herrschte bedrücktes Schweigen. Nun sahen auch Hank Trehurns Begleiter, was er meinte. Der Schatten bewegte sich. Flüchtig streifte sie der Blick glühender
Weitere Kostenlose Bücher