1635 - Schach der Blauen Schlange
mit Regen, so wie der letzte Tag geendet hatte. Ronac stapfte mit gespannten Sinnen durch die Buschlandschaft zwischen dem Fremdenhaus N'Akona und dem Baumdorf. Heute war für die Ernte ein idealer Tag. Es wäre dumm gewesen, hätte Castodom ein Gebiet ausgesucht, das vom Fremdenhaus allzuweit entfernt lag. Deshalb brauchte Ronac gar nicht lange, bis er die ersten Geräuschfetzen aufschnappte. Ein bißchen Gemurmel, ein oder zwei Flüche, dazu hin und wieder Castodoms bissige Kommandos. .Mit deutlicher Erleichterung betrat Ronac die Ebene. Es handelte sich um ein steiniges Feld, voller Exkremente von Weidevieh, und unter einem Baum lagen vor der Feuchtigkeit geschützt zwei erlegte Tiere. Ronac spürte erst jetzt wieder seinen Magen. Aber er mußte bis zum Abend warten, das wußte er; wenn es denn gelang, endlich ein Feuer anzuzünden. „Ronac! Da bist du ja doch noch!"
„Ja, Castodom."
Aufmerksam näherte er sich dem Stärksten, weil er dessen Freundlichkeit mißtraute. „Wir dachten schon, die Insektos hätten dich geholt."
Gehofft hast du es, dachte Ronac. Und nun bist du enttäuscht, daß ich schon wieder hier stehe. Aber vielleicht freust du dich auch. Du hast wieder einen Gegner, der sich demütigen läßt.
Einen, der nicht aufbegehrt. „Ich wurde im Fremdenhaus eingeschlossen", log Ronac kurz entschlossen. „Und wie bist du herausgekommen?"
„Kurze Zeit später war der Ausgang plötzlich wieder offen.
Du weißt ja, wie das im Fremdenhaus vor sich geht. Die Schotten öffnen sich ferngesteuert."
„Hmm. Ja. Ja. Ferngesteuert also. Und anschließend hast du im Freien geschlafen?"
„Genauso ist es."
Das Lauernde in Castodoms Stimme entging ihm nicht. Und dennoch überraschte ihn der Angriff. Sekundenlang schien es, als lasse der andere seinen Blick über die gebeugten Rücken der Männer und Frauen wandern, die im Morast und zwischen spitzen Steinen nach Tsuin-Wurzeln gruben - doch schon im Augenblick darauf explodierte er förmlich. Sein erster Schlag traf Ronac an der empfindlichsten Stelle, seitlich am Hals. Er konnte nichts mehr sehen, nichts mehr hören, bekam kaum noch Luft. Instinktiv streckte er beide Arme vor. Wenn er jedoch erwartet hatte, Castodom so zu treffen, sah er sich enttäuscht. Der Stärkste war längst zur rechten Seite ausgewichen. Schon trafen ihn von dort harte Schläge in den Rumpf, schon trat der Stärkste ihm das Standbein weg.
Ronac stürzte.
Er wollte sich aufrappeln, steckte aber vorher einen Fußtritt ins Gesicht ein. Sein Hinterkopf prallte auf ein Feld aus Steinen. Einen Herzschlag lang klärte sich sein Blick; nur um den letzten, furchtbaren Schlag kommen zu sehen. Und er hatte nicht die Spur einer Chance gehabt.
Er wachte nur deshalb wieder auf, weil er vor Schmerzen nicht mehr liegen konnte. Jeder Quadratzentimeter seiner Haut war aufgeweicht und blutig. Jetzt hätte er eines der Mittel brauchen können, die sie von den N'Akona erhalten hatten.
Doch er rechnete sich keine Chance aus. Castodom würde ihn mit Freuden sterben lassen, wenn sich dazu die Möglichkeit bot.
Es konnte so nicht weitergehen. Ronac wußte es; die Dinge wurden schlimmer, nicht besser. Stöhnend kam er auf die Beine. Er hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen, doch in seinem Magen befand sich nichts außer den Wurzelresten vom Morgen. „Ho, Langschläfer! Du kannst dich gleich an die Arbeit machen! Wir wollen heute abend ein paar köstliche Wurzeln im Fremdenhaus eintauschen!"
„Aber..."
Er unterbrach sich und hörte auf, dem Blick des Stärksten Widerstand entgegenzusetzen. Auf seine Anweisung hin begab er sich direkt in den Mittelpunkt des Feldes, wo zwischen Gesteinstrümmern die höchsten Pfützen standen. Ronac stapfte auf zittrigen Beinen. Die Männer, und Frauen ringsum bemerkte er fast nicht mehr. Sein Gesichtskreis reduzierte sich auf die Pfützen, auf die Steine, und auf den Sack, den ihm jemand in die Hand gedrückt hatte. Sein Körper war eine einzige Wunde. Und doch tauchten diese Hände in den Schlamm, bekamen Wurzelenden zu fassen, zerrten ungelenk.
Der Sack füllte sich, je mehr von seinem letzten Rest Kraft er verlor.
Endlich kam der Abend. Er war zweimal zusammengebrochen, hatte sich aber beide Male wieder aufgerafft.
Daß Castodom die Arbeit abbrechen ließ, bemerkte er als letzter von allen. Und auch der Regen hatte aufgehört. Nur für ein paar Stunden, denn am Himmel türmten sich schon wieder neue, umbrafarbene Wolken auf - aber zumindest war es eine
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