1635 - Schach der Blauen Schlange
Unterbrechung. Der Stärkste ließ aus dem Unterholz halb trockene Äste und Moos zusammensuchen. Kurze Zeit später brannte ein stark qualmendes Feuer. Ronac saß teilnahmslos dabei. Er war nicht fähig, zu reagieren. Erst der stechende Geruch von verbranntem Fleisch erweckte seine Lebensgeister.
Wie alle anderen erhielt Ronac seinen Anteil. Er schlang die Brocken hinunter, ohne zu kauen, und wunderte sich nicht im mindesten über die Magenschmerzen. Was störte es ihn, nach allem, was er heute ertragen hatte?
Nur noch der Weg zurück zum Baumdorf, und dann eine ganze Nacht hindurch schlafen. Mehr wollte er nicht. Mit letzter Kraft schleppte er sich in eine der Höhlen, rollte den Körper zu einer Kugel zusammen und erschlaffte.
Der Korridor.
Das Schott, das aus dem Fremdenhaus N'Akona ins Freie führte. Und eine rote Bestie in einem goldenen See.
Ronac erwachte mit schmerzenden Gliedern. Inzwischen hatte er sich soweit erholt, daß er sicher war, auch diesen Tag zu überstehen. Manchmal gab es Tage, im strengen Winter von Szal-Mien, an denen es noch härter war. Besonders wenn die Raubtiere um das Baumdorf strichen; oder wenn ein Schwarm von Brutinsektos über den ganzen Stamm herfiel. Einmal hatte er gemeinsam mit allen anderen hoch oben im Baum gesessen, und der Schwarm hatte sie entdeckt. Ronac hatte still dagesessen und sich nicht gerührt. Um keinen Preis hätte er schreien oder auch nur den Kopf wenden dürfen. Er hatte mit angesehen, wie die Frauen neben ihm bei lebendigem Leib zerrissen wurden - und er hatte nicht einmal die Fäuste geballt.
Es gab keinen Grund zur Klage. Nur eines wußte er: daß er Castodom töten mußte.
Der Stärkste ließ ihnen kaum Zeit für eine Morgenmahlzeit.
Schon ließ er die Männer und Frauen in Richtung Erntegründe aufbrechen. Der Regen hatte wieder eingesetzt und verwandelte selbst die' Flächen, die vorher grün und fest ausgesehen hatten, in unbegehbaren Morast. Und die braunen Wolkengebilde am Himmel von Szal-Mien türmten, sich immer dichter auf. Manchmal verschleierten sie den Horizont so dicht, daß selbst die gewaltige Scheibe des Mondes Aszal nicht mehr sichtbar war.
Castodom entdeckte einen Erntegrund nahe am Fremdenhaus, der den anderen Stämmen bislang entgangen war. So hatten sie die Säcke halb so weit zu schleppen, und für die eigentliche Arbeit blieb mehr Zeit übrig. Ronac mühte sich ohne Pause fast den ganzen Tag lang ab. Genau wie die meisten anderen, bis auf Castodoms Favoritinnen und den Stärksten selbst - es wurde Zeit, daß die Regenzeit endlich aufhörte.
Gegen Abend machten sie sich erneut auf den Weg zum Fremdenhaus N'Akona. Binnen kurzer Zeit erreichten sie die steinige Ebene und das Haus, das immer noch so geheimnisvoll wie früher dastand. Wie einer dieser Göttertempel, dachte Ronac; man konnte aus den südlichen Ländereien manchmal davon hören, wenn reisende Zauberer vorbeikamen und gegen eine Mahlzeit Neuigkeiten verbreiteten. Aber das war nicht oft der Fall. Dennoch hatte sich Ronac zusammengereimt, daß es mehrere dieser Fremdenhäuser geben mußte, vielleicht fünf oder sechs. Jedes einzelne davon war weiter entfernt, als er sich jemals vorzustellen imstande war.
In einer langen Prozession bewegte sich der Stamm über den schmalen Pfad. Nun, da die Dunkelheit bald hereinbrechen würde, näherte sich aus einiger Entfernung auch ein zweiter Stamm. Der Gedanke, daß es Fhem und ihre Leute waren, ließ sein Herz vor Erregung rasen, und er mußte an den Augenblick vor zwei Tagen denken, als er sie im Korridor des Fremdenhauses so unvermutet wiedergesehen hatte.
Im Korridor.
Da war dieses Wort schon wieder.
Und als er diesmal aufschaute, sah er keinen Berg aus Fels oder Kristall mehr, sondern er schaute auf Wände aus Stahl, die tausendmal fester als jeder Stein oder Faustkeil waren. Er sah oben die Antenne, anstatt von Buschwerk, die blanken Stellen verwandelten sich in Fensterluken mit polarisiertem Glas. „Ho! Ronac! Bleibe nicht zurück!"
Die Stimme des Stärksten traf ihn wie ein Peitschenschlag.
Hastig schloß er auf, um ja nicht Castodoms Zorn herauszufordern. Wie beim letzten Mal erreichten sie den Zugang fast gleichzeitig mit dem anderen Stamm. Und auch diesmal brachten sie es fertig, sich ohne Streiterei in der Halle zu versammeln. Auf dem Weg dahin erschloß sich Ronac endlich der Sinn der bunt bemalten, kleinen Felder überall. Es handelte sich um Schaltelemente.
Was bei allen Geistern waren Schaltelemente'?
Weitere Kostenlose Bücher