1638 - Leichenspur des Künstlers
meine Vorbilder haben ihren Opfern ein langsames Sterben gegönnt. Ich denke, dass ich mich daran halten muss. Langsam sterben, meine Liebe. Ich schaue später noch mal vorbei.« Er lächelte sie breit an. »Das werde ich tun.«
Lilly Lechner wusste nun endgültig, dass sie keine Chance mehr hatte.
Sie hatte in den letzten Minuten ihre Angst zurückhalten können. Das war jetzt nicht mehr möglich. Eine Welle überschwemmte sie, und trotz der Fesseln fing sie an zu zittern.
»Ich weiß, dass du schreien willst, aber dagegen habe ich etwas. Du weißt doch, dass wir uns hier an der Mosel befinden. Darauf soll immer ein Detail bei meiner Performance hindeuten. Der Wein, die Trauben, das ist es doch, was uns hier am Leben hält und glücklich macht. Und es soll in das Bild passen.«
Lilly hatte es gehört, aber nicht mehr richtig begreifen können. Das war alles nicht mehr wahr und doch eine Tatsache.
Der Künstler holte aus der Tasche eine Rebe Trauben. Zuerst wusste Lilly nicht, was er damit anstellen wollte, bekam es dann mit, als er sich mit den Trauben ihrem Mund näherte.
»Öffne ihn!«
Sie wollte nicht, tat es dann doch.
»Gut!« Er lachte leise, dann schob er ihr die Rebe mit der schmalen Seite in den Rachen.
Sie würgte. Ihre Angst steigerte sich noch mehr.
Der Künstler trat zurück. Den Kopf leicht schief gelegt und dünn lächelnd beobachtete er sein Werk. Es war fast perfekt. Aber er wollte so sein wie seine Vorbilder, und da fehlte noch der Höhepunkt. Das langsame Sterben…
Diesmal fasste er nicht in die Aktentasche. Jetzt verschwand seine rechte Hand unter der Jacke.
Sie war schnell wieder da.
Und sie war nicht mehr leer.
Aus der Faust hervor stach die Klinge eines spitzen Messers.
Das sah auch Lilly. Ihre Augen waren weit geöffnet, und sie hatte das Gefühl, in ihr würde etwas explodieren. Schreien konnte sie nicht, die Trauben verstopften ihren Mund, aber ihr Gehör war noch völlig in Ordnung. Und deshalb vernahm sie auch die nächsten Worte überdeutlich.
»Und jetzt, meine Süße, komme ich zum Höhepunkt meiner neuesten Performance…«
***
In der Bar des Hotels warteten Harry Stahl und ich auf den deutschen Kollegen Brenner. Er hatte versprochen, vorbeizukommen, um sich mit uns abzusprechen. Wir hatten nur einen ungefähren Zeitpunkt ausgemacht, so konnten Harry und ich noch einen Kaffee trinken.
Zur Untätigkeit verdammt zu sein nagte an uns. Jeder wusste, dass der Killer in der Nähe lauerte und nur darauf wartete, zuschlagen zu können.
Und das unter unseren Augen.
Ich winkte Frank, den Barkeeper, heran, der soeben gekommen war, um seinen Dienst anzutreten.
»Setzen Sie den Kaffee bitte auf meine Rechnung.«
»Gern.«
»Brenner kommt«, sagte Harry und stand auf. »Mal hören, ob es etwas Neues gibt.«
Ich erhob mich ebenfalls und folgte meinem deutschen Kollegen. Auf uns wartete ein großer kantiger Mann mit dunkelblonden Haaren und einem Bartschimmer im Gesicht.
Er drückte mir die Hand und war erfreut, mich kennenzulernen. »Wo Sie doch ein so berühmter Kollege sind.«
»Das sehe ich nicht so.«
»Doch, ich habe mich kundig gemacht.«
»Sei’s drum. Auch ich gerate öfter an meine Grenzen, als mir lieb sein kann. Und in diesem Fall ist das leider so.«
»Ich weiß.« Brenner holte tief Luft. »Ich habe es endlich geschafft, ein paar Leute zu bekommen. Sie werden hier in der Umgebung die Augen offen halten, und da verlasse ich mich ganz auf Sie beide, weil Sie ja der Meinung sind, dass sich der Killer noch nicht aus dieser Gegend entfernt hat.«
»Ja, dabei bleiben wir auch«, sagte Harry.
»Gut. Und was haben Sie sich vorgenommen?«
Ich winkte ab. »Wir werden hier im Hotel bleiben. Das heißt, wir werden es verlassen, wenn es sein muss. Ansonsten warten wir auf den verdammten Killer.«
»Der Ihnen was beweisen will - oder?«
»Das ist so.«
Brenner runzelte die Stirn. »Und Sie können sich nicht vorstellen, warum Sie in seinen Focus geraten sind?«
»Nein. Man muss davon ausgehen, dass er nicht mehr normal ist. Der kann nicht mehr normal ticken. Er will sich und der Welt wohl beweisen, wie toll er ist. Wir können nur hoffen, dass er das nicht mehr schafft.«
Benner nickte. »Da sagen Sie was. Ich werde jetzt zu meinen Leuten gehen und noch letzte Anweisungen geben.«
»Auf wie viele können Sie zählen?«, fragte Harry.
»Außer mir sind es noch fünf.«
»Das ist nicht viel.«
Brenner verzog die Lippen. »Ich weiß. Und trotzdem bin ich
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