1650 - Schrei, wenn der Albtraum kommt
»Oh -jetzt habe ich keine Angst mehr. Der kommt nicht mehr zurück - oder?«
»Richtig, der kann dir nichts mehr tun.«
Sie zupfte an der Kette und sah so das Kreuz besser. »Das ist ja schön«, flüsterte sie. »Ist das echt?«
»Klar ist das echt.«
»Dann hat es mich gerettet?«
»Auch das!«
Sie strahlte mich an. »Darf ich es behalten?«
»Leider nicht, meine Kleine. Es gehört mir. Ich habe es geerbt. Und so etwas verschenkt man nicht.«
»Schade.«
»Ach, du wirst bestimmt eines finden, das so ähnlich aussieht. Davon bin ich überzeugt.«
»Ja, da frage ich meine Ma.«
»Klar.«
Cliff Gorman hatte seine Zeit gebraucht, um sich zu fangen. Jetzt war es so weit, und er bewegte unruhig seinen Kopf, wobei seine Lippen zuckten, er aber nichts sagen konnte.
Ich schob ihm Amely zu. Er bückte sich und drückte sie eng an sich. Das musste jetzt sein. Außerdem erhielt ich die Gelegenheit, mich umzuschauen.
Es war zwar nebelig, aber der Vorfall hätte von zahlreichen Zeugen gesehen werden müssen. Das traf nicht zu. Kein Mensch starrte uns an.
Niemand stellte Fragen. Hin und wieder bemerkte ich einen verstohlenen Blick, doch die meisten Leute hatten zwar etwas gesehen, aber nichts begriffen. Es konnte am Nebel liegen, der alles im Griff hielt.
Viele waren auch gestresst oder wollten nicht wahrhaben, was in ihrer Umgebung geschah.
Jedenfalls hatte Amely überlebt und ihr Vater auch, der mein Kreuz anstarrte.
»Es hat sie gerettet«, sagte ich.
»Wovor denn?«
»Sie haben es gesehen.«
»Ja, aber ich kann es nicht begreifen. Es - es - war doch nur eine Traumgestalt.«
»In der Tat. Nur gehen manche Träume leider in Erfüllung. Das haben Sie selbst erlebt.«
»Ich fasse es nicht«, flüsterte er, »und Sie haben uns gerettet?«
»Nein, nicht ich. Es ist das Kreuz gewesen. Vergessen Sie das nie, Mr. Gorman.«
Er schaute meinen Talisman an und nickte. »Ja, an das hier werde ich immer denken.« Er nahm seine Tochter in die Arme. »Aber fassen kann ich es nicht.«
»Lassen Sie es so, wie es ist.«
Der Stau fing an sich aufzulösen. Einige Motoren wurden gestartet. Für mich war es an der Zeit, von Amely Abschied zu nehmen.
»Bleiben wir Freunde?«, fragte ich.
»Klar doch. Schreibst du mir?«
»Aber erst musst du mir schreiben.«
»Mach ich.«
»Dein Vater weiß, an wen er sich wenden muss.«
»Klar, Töchterchen. John Sinclair wohnt in London.«
»Oh - so weit weg.«
Wir lachten, dann wurde es Zeit, wieder in die Autos zu steigen. Ich konnte nur hoffen, dass dieser Albtraum die Familie in Zukunft in Ruhe ließ und sich mehr um mich kümmerte.
Kaum saß ich im Rover, als sich Suko meldete.
»Wo steckst du denn jetzt?«
»Im Stau und im Nebel.«
»Mist.«
»Ja. Und ich werde wohl erst morgen in London eintreffen. In der Zwischenzeit werde ich wohl noch etwas Spaß mit einem besonderen Albtraumgespenst bekommen.«
»War es wieder da?«
»Ja, aber das erzähle ich dir morgen. Es geht wieder los. Ich suche mir einen Ort, wo ich übernachten kann.«
»Tu das. Und träume schön.«
»Ja, aber nicht von dir.«
»Ist das nicht besser, als vom Sensenmann zu träumen?«
»Weiß ich nicht. Das werde ich dir vielleicht erst morgen erzählen können.«
»Dann halte dich tapfer.«
»Mach ich glatt.«
Und glatter ging auch die Fahrt weiter, denn der Nebel löste sich fast auf, sodass wir jetzt durch einen trüben Tag rollten und ich auch nicht viel schneller fahren konnte. Ich hoffte nur, dass es zu keinem weiteren Unfall mehr kam.
Übernachten oder durchfahren?
Ich bin kein Roboter. Außerdem wusste ich einen Verfolger auf meinen Fersen, und den wollte ich loswerden, ohne dass andere Menschen in Gefahr gerieten.
Mein nächstes Ziel hieß Exeter. Der Ort liegt an der Küste und bildet so etwas wie ein Ende eines Fjords. Dort trifft die A30 auf die M5, eine Autobahn, auf der ich hoffentlich schneller vorankam. Sie mündet in die M3, die dann in Richtung London führt.
So weit kam ich nicht. Es dämmerte, als ich Exeter erreichte, auf die nächste Autobahn fuhr und mich nach Norden bewegte. Gegen zwanzig Uhr hatte ich genug von der Fahrerei. Ich fühlte mich schon recht müde und angeschlagen.
Größere Orte gab es rechts und links der Autobahn nicht. Ich würde in eines der Dörfer fahren und mir dort eine Übernachtungsmöglichkeit suchen. Bed & Breakfast, das schwebte mir vor.
Das Dorf hieß Wrangway und lag nicht mal einen Kilometer von der Autobahn entfernt. Wer hier lebte, der
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