1661 - Tabuplanet Shaft
gebeugt, daß Keith Junker Angst bekam, der blubberige Speck, aus dem sein Körper in der Hauptsache bestand, könnte nach vorne rutschen und den Schwerpunkt derart verlagern, daß sich ein Sturz in den Abgrund nicht mehr vermeiden ließe. Aber Bliss bewies erstaunliche Gewandtheit. Er richtete sich auf, ohne daß er dabei auch nur für den Bruchteil einer Sekunde aus dem Gleichgewicht geraten wäre. Sein Gesicht war gerötet, weil er den Kopf so lange nach unten gehalten hatte. „Ich verstehe das nicht", sagte er. „Wenn ich einen Schacht von dieser Größe zu bauen hätte, wurde ich ihn mit Desintegratoren fräsen, im schlimmsten Fall mit Thermostrahlern aus dem Gestein herausschneiden. Aber die hier - wer auch immer >die hier< sein mögen - haben es anders gemacht. Keine Spur von Desintegrator- oder Thermostrahl-Einwirkung. Die Schachtwand ist uneben. Sieht fast aus, als hätten sie mit Hammer, Meißel und Picke gearbeitet."
Es knackte im Helmfunk. Eine Frauenstimme rief: „Xii? Xii-Gien-Qek?"
„Ich höre", meldete sich der Blue. „Claire Seinfeld, Abteilung Meßtechnik. Meine Sonde ist einsatzbereit."
„Das wollte ich hören!" frohlockte Xii-Gien-Qek. „Bring sie her!"
Die Technikerin tauchte Sekunden später aus einer der Kuppeln auf. Hinter ihr schwebte ein Lastenroboter, der aus einer Plattform und dem Aggregat zur Erzeugung künstlicher Schwerkraft bestand. Auf der Plattform ruhte ein kugelförmiges Gerät mit abgeplatteten Polen. „Wie soll die Sonde eingesetzt werden?" erkundigte sich Claire Seinfeld. „Als erstes möchte ich wissen, wie tief der Schacht ist", erläuterte der Blue. „Ist das Gerät entsprechend ausgestattet?"
„Und ob!" strahlte die Technikerin. „Konventionelles und hyperenergetisches Echolot. In spätestens zwei Minuten weißt du, wie tief der Schacht ist. Sonst noch was?"
„Der Schacht muß vermessen werden, von der Oberkante hinab bis zur Sohle", sagte Xii-Gien-Qek. „Wir brauchen Aufnahmen von der Beschaffenheit der Wände."
„Können wir machen", versprach Claire Seinfeld.
Sie war eine junge, hübsche Frau, nicht älter als dreißig Jahre, blond, mit grauen Augen und ein wenig pummelig. Ihre Art der lockeren Unbekümmertheit wirkte erfrischend. Sie trat zu dem Roboter hin, der reglos in der Nähe des Schachtrands schwebte, und nahm an dem kugelförmigen Gerät mehrere Einstellung vor. „Die Bilder, die die Sonde aufzeichnet, werden von ARS empfangen und gespeichert", sagte sie. „Soll ich jetzt anfangen?"
„Ja", entgegnete der Blue.
Claire Seinfeld nahm eine letzte Einstellung vor. Die Sonde hob von der Lastplattform des Roboters ab und schwebte über den Schachtrand hinaus. Langsam glitt sie bis zum Mittelpunkt des Kreises, wobei sie stets die gleiche Höhe beibehielt. Dann machte sie halt. „Die Meßergebnisse sind über Helmfunk abrufbar und können auf den Videosektor der Helmscheibe projiziert werden", sagte Claire Seinfeld. „Hast du das gehört, ARS?" fragte Keith Junker. „Gehört und verstanden", kam die Antwort aus dem Empfänger. „Es wird projiziert, sobald die ersten Daten vorliegen."
Ein paar Zeichen, Ziffern und Buchstaben huschten über die Videofläche, Störgeräusche beim Einschaltvorgang. Dann kam die erste stabile Zahlenreihe. 13
005.
„Die Angaben sind in Kilometern", sagte die Technikerin. „Oh, verdammt!" stöhnte Norman Bliss.
Die Ziffern veränderten sich sprunghaft. 5473 ... 5667 ... 8219 ... 10104 ...
Jede Zifferngruppe hielt sich ein paar Sekunden, verschwand dann wieder und wurde durch eine andere ersetzt. „Welche Angabe ist gültig?" zwitscherte Xii-Gien-Qek aufgeregt. „Keine", antwortete Claire Seinfeld. „Die konventionelle Echolotung funktioniert offenbar nicht. Da unten ist irgend etwas, das die elektromagnetischen Signale behindert oder verfälscht.
Ich schalte um auf das hyperenergetische Lot. Für einen Planeten ist das vielleicht übertrieben - aber es hilft uns weiter."
Ein paar Sekunden vergingen, dann wurde es auf dem Videosektor der Helmscheibe wieder lebendig. 30 004, las Keith Junker. „Was für ein Schacht!" ächzte Norman Bliss. „Dreißigtausend Kilometer tief!"
Junker wartete. Jeden Augenblick mußte die Anzeige wieder verschwinden und einer anderen, wahrscheinlich ebenso sinnlosen, Platz machen.
Aber er hatte sich geirrt. Die Zifferngruppe blieb stehen. Sie brannte sich in seinem Bewußtsein fest. 30 004 Kilometer! „Das ist beachtlich", sagte Donald Hagen mit flacher, ruhiger
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