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1667 - Die Früchte des Wissens

Titel: 1667 - Die Früchte des Wissens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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die Senke.
    Fast wäre er gestürzt; an dieser Stelle reichte der Abgrund viele Kilometer tief, über endlose Grate bis in ein karges Tal hinunter, an dessen Rand sich höchstwahrscheinlich Aasfresser eingenistet hatten. Mich bekommt ihr nicht. Jetzt nicht mehr. Ihr habt verloren.
    Die Senke selbst fiel ausgesprochen sacht ab.
    Es war die am wenigsten bedrohliche Form des ganzen Gebirges. Und in der Mitte, etwa zehn Meter unter der Höhe des Grates, von dem er kam, befand sich eine sandgefüllte Mulde. Nur das, nichts weiter. Dennoch war Niisu von einer Sekunde zur anderen sicher, daß er sich am Ziel befand. Seine Füße versanken im tiefen Pudersand.
    Mit fast andächtigen Bewegungen näherte er sich dem tiefsten, dem mittleren Punkt der Senke. Wie abgeschnitten endete der eisige Wind.
    Er ging auf die Knie nieder und begann zu graben. Dazu brauchte er sein Messer nicht, denn mit bloßen Händen schaufelte er den Sand wesentlich besser weg als mit der schmalen Klinge. Eine halbe Stunde grub er so, bis ein tiefes Loch vor ihm lag. Die Kanten waren rund. Nirgendwo in dieser Mulde fand er einen einzigen Stein. „Ich kann dich riechen ...", murmelte er. „Ich weiß so sicher, daß du da bist, wie ich weiß, daß ich noch am Leben bin."
    In der Mitte seiner Kuhle spürte Niisu einen harten Gegenstand. Aber es war kein Gegenstand, sondern eine Wurzel mit harter Schale. Mit einem Gefühl unendlichen Triumphs rupfte er das farblose Ding aus der Erde. Es fühlte sich kalt an, absolut vertrocknet und doch herrlicher als alles andere, was er hätte finden können.
    An der Klinge seines Messers schabte er die Außenkruste vollständig ab. Der erste Bissen schmeckte bitter. Mit zitternden Fingern öffnete er seinen Wassersack und nahm winzige Schlucke, allein um die zerkaute Substanz hinunterzuschlucken. Nach wenigen Minuten breitete sich von seinem Magen Wärme aus. Er spürte, wie etwas in seinem Hirn in Bewegung kam, und er wußte ebenso, daß er diesen Prozeß bei wachem Bewußtsein nicht ertragen konnte.
    Dies war eine windgeschützte Stelle. Es war nicht so kalt wie sonst überall; es gab keine Feinde hier, weil das an einem Ort wie diesem undenkbar war. Also kaute Niisu den Rest der Wurzel, nahm ein paar weitere Schlucke und rollte sich zum Schlaf zusammen.
    Die Wärme griff auf seinen ganzen Körper über. Er hatte die Frucht gegessen.
     
    *
     
    Das Gebirge Rok: Tausend Bergmassive über den Ländern Boor, Zuun und Bagamell, so hoch emporragend, daß auf dem mächtigsten Gipfel nicht einmal die Vögel mehr atmen können. Die Vögel, die der Wanderer an den windgeschützten Flanken findet, wenn er so hoch steigen kann ... Die unsichtbar in den Lüften kreisen und den Namen Tarrok tragen ...
    Und da sind die Voya, die in Rudeln jagen und lautlos sich dem Wanderer zu nähern vermögen, denen er hilflos gegenübersteht. Der rote Schnee, der so giftig ist wie die giftigste Pflanze des Landes Boor; in dem Getier lebt, das kleiner als der kleinste Stein des Gebirges ist.
    Er hatte keine Ahnung, was es war, das ihn weckte. Sein Bewußtsein kehrte nicht gleich zurück.
    Die Pflanzen des Gebirges Rok, so dünn gesät wie in der trockensten Savanne, und doch reichhaltig wie in einem Urwald, wenn man weiß, wo man zu suchen hat.
    Das weiße Gras wächst zwischen Eis und Stein, und es zieht Nahrung aus dem härtesten Untergrund. Das grüne Moos, das den Namen Alyiu trägt, breitet sich da aus, wo Wasser gerade gefroren ist... Dazu der Regen, der so selten kommt - und der dem Wanderer den Tod bringt, wenn er nicht rechtzeitig seinen Unterschlupfgefunden hat.
    Seine Muskulatur zuckte.
    Jeder einzelne Punkt in seinem Leib strahlte höllische Schmerzen aus.
    Und als er die Augen öffnete, nahm er am Rand seines Gesichtskreises eine Bewegung wahr. Niisu lag völlig still. Tatsächlich, da war es wieder!
    Eine ganze Horde kleiner Tiere strich um den Rand der Mulde. Keines getraute sich, zu ihm herunterzusteigen, aber sie alle umringten ihn aus der Distanz mit unbezähmbarer Neugierde.
    Die Tiere sahen aus wie langgestreckte, flinke Pflanzenfresser mit weißem Pelz. Ihr Name war Seligu. Unruhig bewegten sie sich mit ihren spitzen Schnauzen hin und her, während die buschigen Schwänze senkrecht nach oben standen. Ihre Leiber wirkten furchtbar dünn; nicht dicker als das Handgelenk eines Nomaden. Die Hinterläufe dagegen sahen fett und kräftig aus.
    Kommt heran. Kommt zu mir. „Ich will euch nichts Böses", formulierte er leise.

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