1667 - Die Früchte des Wissens
geronnene Blutlachen. Aber das störte Niisu wenig, solange nur das Fleisch genießbar blieb.
Er zog dem ersten Seligu das Fell ab und warf es hinten in die Höhe, zu den anderen Kadavern. Das Fleisch aß er roh, die Hinterläufe stopfte er mit wenigen Bissen in sich hinein, ohne groß zu kauen. Und wieder wurde er müde, als habe er einen ganzen Tag lang schwer gearbeitet. In seinem Zustand jedoch... Es war ein Wunder, überhaupt noch auf den Beinen zu stehen.
Mit ein paar Handvoll Schnee füllte er von neuem seinen Wasserbeutel. Anschließend kniete er nieder und schob das lose Geröll haufenweise in die Höhle. Der Geruch von Aas wehte in alle Richtungen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Voya oder Tarrok-Vögel auftauchten, um ihm die Beute abzujagen.
Deshalb kroch er in die Höhle, schichtete von innen so viel Geröll auf, daß niemand zu ihm konnte, und nickte augenblicklich ein. Niisu schlief den Rest des Tages und die folgende Nacht. Und als er aufwachte, fühlte er sich erstmals seit langer Zeit gekräftigt.
Die erste Stunde verbrachte er damit, seine Beute auszunehmen und das Fleisch in Vorratsbeutel zu verstauen. In größeren Mengen sammelte er anschließend das grüne Moos, das an manchen Stellen wuchs, und zündete es in der Höhle an. Die Häute der Seligu behandelte er über dem offenen Feuer. Wer im Gebirge Rok überleben wollte, versuchte das an der Grenze zwischen Schnee und Fels. Doch es war nicht möglich, längere Zeit ohne entsprechende Kleidung auszuhalten. Zunächst fertigte er sich Überstreifer für die Füße, dann Handschuhe. Damit machte sich Niisu auf den Weg.
Der Nomade wanderte drei Tage lang, frierend und mit Beulen an den Füßen. Tags darauf gingen die Vorräte zur Neige. Also fing er von neuem Seligu, nach der erprobten Methode, die er nur der Frucht zu verdanken hatte. Und endlich reichte das gewonnene Fell, um Jacke und Hose zusammenzunähen. Fäden zog er sich aus dem Gedärm der Tiere, eine Eisennadel trug er mit dem Messer, den Feuersteinen und anderen Dingen immer bei sich.
Mehrfach traf er auf Voya-Rudel. Doch jetzt, da sich Niisu im Gebirge auskannte, war es für ihn ein leichtes, die Jäger in die Irre zu führen. Er begab sich immer weiter in die Welt der Gipfel und des Schnees hinein. Die Richtung hielt er nach dem Stand der Sonne. Auch das verdankte er dem Genuß der Wurzel; anders hätte er nicht gewußt, wohin er sich wenden sollte und vor allem aus welchem Grund.
Es gab Arbeit zu tun.
Es gab einen Turm zu bauen.
Sechzig Tage dauerte die Reise, dann erst nahm am Horizont die Höhe der Gipfel ab.
Weitere fünfzehn Tage brauchte Niisu, um den Randbereich des Gebirges Rok zu erreichen. Von hier aus schimmerte ab und zu das Land Zuun durch den Dunst, als smaragden glitzerndes, schmales Band am Rand der Welt.
Und am Tag darauf geschah etwas, das ihn völlig aus dem Konzept warf. Er hatte sich an die Einsamkeit gewöhnt. Fast hatte sich Niisu mit dem Gedanken angefreundet, ein Einzelgänger zu bleiben, weder Gefährten zu kennen noch eine Frau zu tragen.
Doch dann sah er es... Dahinten, zwischen den nächsten Gipfeln, zwei bis drei Tagesreisen entfernt. Ein dünner Rauchfaden stieg in den Himmel. Jemand wärmte sich an einem Feuer. Und da die Bewohner des Gebirges Rok Tiere waren, blieb nur ein einziger Schluß: Irgendwo dahinten lagerten Trepeccos.
*
Es war eine ganz bestimmte Laufweise, die ihm das Gebirge abverlangte. Nicht der lockere Trab, der sich in Savannen und Waldgebieten anbot, sondern viele kurze Schritte hintereinander, wobei es darauf ankam, jeden dieser Schritte sorgfältig abzuschätzen. Ein Fehltritt konnte schwere Folgen haben, denn ebenen Untergrund gab es nicht. Und eine Verletzung wiederum bedeutete den Tod. Das war das Los des Einzelgängers. Wer nicht die Möglichkeit hatte zu jagen, der verhungerte. Wer sich den Voya-Rudeln nicht entziehen konnte, der wurde gefressen. In der Eiseskälte ging das schnell.
Mindestens zwei Tagesreisen lagen vor ihm, und er prägte sich genau den Punkt ein, von dem der Rauch aufstieg. Es handelte sich um einen flachen Bergrücken am Rand des Gebirges. Dort mußte es brennbare Vegetation geben, sonst hätten die Unbekannten kein Feuer entzündet. Bis zum Abend brachte Niisu die Hälfte der Strecke hinter sich.
Die Trennlinie zwischen dem Grau der Felsen und dem dunklen, schäbigen Grün der Grenzregion konnte er schon lange sehen. Und die ganze Zeit über stellte er sich die bange Frage, in
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