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1667 - Die Früchte des Wissens

Titel: 1667 - Die Früchte des Wissens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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gekostet hatte. Cahlie... Wäre sie nur hiergewesen. Frauen besitzen das Geschick, auf fremdem Terrain die Frucht aufzuspüren. Männer sind auf den Zufall angewiesen. In einer Umgebung, in der kaum Leben existiert, gibt es logischerweise wenig Früchte.
    Niisu tat die ersten Schritte hinaus.
    Er fiel fast um vor Schwäche. Es war ein grauer Tag mit tief hängenden Wolken, die ihre grüne Färbung eingebüßt hatten, und weit entfernten Gipfeln, deren Spitzen unter einem Schleier aus Regen und Dunst verborgen lagen. Schweren Herzens opferte er seine Vorräte. Im Stehen kaute er zunächst die Reste der Zasavögel, die bereits zu stinken anfingen und so bald Räuber auf seine Spur geführt hätten. In klarer Luft verbreitete sich Aasgeruch über viele Kilometer. Anschließend trank er den Wasserbeutel leer und preßte ihn bis zum letzten Tropfen aus.
    Gestärkt wanderte er bis zum Mittag. Ein paarmal fand er wieder Pflanzen, entschied aber, sie nicht anzurühren. Die Wahrscheinlichkeit, an ungiftige Dinge zu geraten, schien sehr gering. Also hielt er weiterhin Ausschau nach dem, was er wirklich brauchte. Hinter jedem Stein, am Grund jeder Mulde vermutete Niisu die Frucht. Er konnte sie am Ende jedes Pfades riechen, sah sie auf dem Rücken eines Höhenzuges.
    Aber immer handelte es sich um eine Täuschung. Es gab kein verläßliches Anzeichen für die Wurzel. Sie steckte tief in der Erde, und man mußte graben, um sie zu bekommen.
    Die Stille des Gebirges deprimierte ihn.
    Wer so lange wie er mit seinem Stamm gelaufen war, der brauchte Stimmen um sich.
    Oder Geräusche, die vom Kampf des Lebens zeugten.
    Niisu legte bis zum Abend eine gute Strecke zurück. Allmählich näherte er sich den höheren Gipfeln - und die Umwege, die er in Kauf nahm, wurden größer. In dieses Inferno aus rotem und weißem Schnee wagte er sich nicht hinauf. Keiner würde das tun oder nur jemand, der der Verzweiflung nahe war.
    Die Nacht verbrachte er in einer Höhle, so wie immer. Und am nächsten Morgen erwachte er mit unglaublichem Hunger. Den ganzen Tag lang schaffte er es nicht, das Rühren in seiner Magengegend zu verdrängen. Ein Nomade verfügte über Reserven - aber nicht endlos, nicht über einen Eissturm und eine Vergiftung hinweg. Am Morgen darauf vermochte er kaum noch, sich zu erheben.
    Niisu war am Ende. Er konnte nochmals die schwarzen Knollen kosten. Oder er konnte versuchen, ob sich irgendein Tier eine Falle stellen ließ. Dagegen sprach, daß er noch nicht einmal Tiere zu Gesicht bekam. Er hatte keinen Köder, keine Idee, gar nichts.
    Noch einen weiteren Tag, das wußte er, und er war so gut wie tot. Die Strecke, die er von manchen Punkten aus überblicken konnte, machte mehr als einen Tageslauf aus.
    Und innerhalb dieser Grenze sah ein Höhenzug aus wie der andere. Es gab nicht das geringste Zeichen für eine Änderung, für plötzliche Vegetation oder einen Platz, an dem man jagen konnte. Ganz zu schweigen davon, daß er nicht wußte, was genießbar war und was giftig. Er hatte schon manchen Nomaden sterben sehen, der die falsche Nahrung zu sich nahm.
    Mitten auf seinem Weg lag ein flacher Stein.
    Niisu setzte sich und überlegte lange. Viele Kilometer weit reichte sein Blick, hinein in eine Ödnis voller Schrecken, aber auch voller Größe und Pracht. Er kam sich so gering vor, wie es niemals vorher der Fall gewesen war. Und wenn doch, so vermochte er sich nicht zu erinnern - denn das Gedächtnis der Nomaden war kurz. Gewöhnlich reichte es von einer Landesgrenze bis zur nächsten. Mehr brauchte man nicht, weil jede Umgebung neue Taktiken erforderte. Das Gedächtnis der Nomaden bildete die Frucht. Nur persönliche Dinge behielt Niisu im Kopf, etwa den Gedanken an seinen Stamm, an Cahlie oder an das Kind, das er mit ihr begraben hatte.
    In diesem Moment der Stille verlor der Tod seinen Schrecken.
    Es war kein plötzlicher Prozeß. Vielmehr wurde sich Niisu seiner eigenen Nichtigkeit bewußt. Er wollte keinen vergeblichen Kampf führen. Weiter geradeaus zu wandern brachte ihm nichts. Wenn er überleben wollte, mußte er jedes Risiko eingehen, das Gewinn versprach.
    Eine Möglichkeit bestand darin, sich talwärts zu wenden. Aber er kam von dort, und er wußte genau, wie es unten aussah. Unten gab es nichts, was ihn am Leben hielt. Statt dessen wanderte sein Blick nach oben. Unter den Gipfeln, in der eisigen Hölle aus Rot und Weiß, war er bisher nicht gewesen. Und wenn es auch widersinnig schien, sich ausgerechnet, dorthin

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