1667 - Die Früchte des Wissens
Voya sehen konnten. Trockenes Husten kam als Antwort. Aber kein Angriff, noch war es nicht soweit. Der zweite Stein bereitete wesentlich mehr Mühe. Niisu trat drei-, viermal, dann erst löste sich der Brocken. Und wieder das Rumpeln, das er zugleich fürchtete und herbeisehnte.
Der dritte Stein, ein tragendes Element des Höhleneingangs, brachte die Entscheidung.
Er brach so leicht aus dem Gefüge, daß Niisu fast seine Chance, zur Reaktion verpaßte.
Eine Sekunde lang setzte wieder das Rumpeln ein, dann steigerte sich der Lärm zum begrenzten Inferno und endete in einem mittleren Erdrutsch.
Niisu stieß sich mit beiden Beinen ab. Er flog zwei Meter weit. Die Landung war brutal: Mit Schultern und Gesicht zuerst prallte er gegen einen Felsblock. Ein Hagel aus Geröll prasselte auf ihn, und bevor der Schmerz seinen Schädel sprengen konnte, hatte er bereits die Beine angezogen und sich zwei weitere Meter in die Höhle geschnellt.
In diesem Augenblick kam der Rest herunter.
Unglaublicher Lärm betäubte sein Hörvermögen. Er bekam keine Luft mehr, weil der Staub bis in den letzten Höhlenwinkel drang. Niisu versuchte krampfhaft, die Luft anzuhalten. Aber wie sollte er? Wer kaum fähig war, bei Bewußtsein zu bleiben, hatte einen kurzen Atem. Bis der Einsturz zum Stillstand kam, vergingen bange Sekunden.
Bis er wieder Luft bekam, dauerte es eine weitere Minute. Unter Hustenanfällen schob sich Niisu weiter in die Höhle. Dort verlor er das Bewußtsein.
*
Er wachte auf, weil noch immer Luftzug da war. Niisu wollte schon triumphierend die Hände strecken -aber die Fesseln erlaubten keine größere Bewegung. Immerhin hatte er die Voya abgehängt. Um welchen Preis, das war die Frage. Er hatte sich nichts gebrochen. Die Schmerzen waren stark, rührten allerdings von Schürfwunden und Prellungen her.
Niisu hatte Durst. Es gab kein Wasser, keine Nahrung, solange er hier nicht heraus war.
Und dann ?Den bohrenden Gedanken ignorierte er, so gut er konnte. Zunächst einmal hatte er Zeit gewonnen, und die galt es zu nutzen, solange er noch Kräfte hatte. Mühsam kroch Niisu vorwärts, bis er mit dem Schädel gegen die nächste Wand stieß. Er suchte sich eine scharfe Kante, richtete sich ein wenig auf und fing an, die Handfesseln dagegen zu reiben. Noch war das Leder feucht. Das hatte zwar Vorteile, wenn man einen Gefangenen fesselte. Aber von Nachteil war es, wenn dieser Gefangene eine scharfe Kante fand.
Niisu brauchte nicht länger als eine halbe Stunde. Er riß die letzten Fasern auseinander und rieb sich die wunde Haut. Die Lederfetzen um die Füße waren hoffnungslos verknotet; sie zu öffnen war nicht möglich, also rieb er auch dort mit einem scharfen Stein.
Kurz darauf machte sich Niisu auf die Suche. Er folgte dem Luftstrom zum hinteren Ende der Höhle. Immer wieder tastete er sich zentimeterweise vor. Stunden später schimmerte von irgendwoher ein Licht. Niisu folgte dem Schimmer mit aller Vorsicht, um nicht auf den letzten Metern in eine Spalte zu stürzen oder sich ein Bein zu brechen.
Beides hätte sein Ende bedeutet. Doch es war, als säße die Sterngefährtin noch in seinem Nakken, als beschütze sie nach wie vor seinen Weg durch die Dunkelheit.
Mit dem letzten Abendlicht trat Niisu ins Freie. Der Nomade fand sich zwanzig Meter oberhalb des Talkessels wieder, am Rand eines steilen Grates. Nahrung besaß er nicht, kein Wasser, keine Kleidung. Und es wurde bitter kalt. Also zog sich Niisu in die Höhle zurück, schon um draußen in der Nacht nicht den Voya zu begegnen.
Am nächsten Morgen erwachte er frierend und mit schrecklichem Hunger.
Niisu kletterte über den Grat nach unten. Seine Füße waren geschützt, auch wenn Hapt ihm sonst keine Kleidung gelassen hatte. Gegen Mittag fand er einen Steinkeil, den er als Waffe benutzen konnte. Und immer weiter bewegte er sich zum Rand des Gebirges.
Er kam besser voran, je flacher das Gelände wurde. Als der Abend anbrach, lag vor ihm wie ein smaragdenes, unendliches Feld das Land Zuun.
Niisu stieß auf einen kleinen Teich.
Es gab viele Teiche hier.
Gierig trank er, rupfte von einem blauen Busch ebenso blaue Beeren und aß sie. Wenn es ein Fehler war, so spürte er nichts davon. Am nächsten Morgen erwachte er mit schmerzenden Gliedern. Sein Körper fühlte sich wie eine einzige Schürfwunde an.
Dennoch erhob sich Niisu und sagte: „Du kannst mich nicht hören, Hapt. Aber ich schwöre, daß ich dich kriegen werde.
7.
Zielgebiet Die
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