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1667 - Die Früchte des Wissens

Titel: 1667 - Die Früchte des Wissens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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tödliche Wolke. Tausend feine Nadeln würden seine Haut durchbohren, ihn ebenso zerfetzen wie die Bäume und die Tiere, die keinen Unterschlupf gefunden hatten. Nur nicht Cahlie. Ein weiteres Mal beschleunigte er seine Schritte. Wie der Wind fegte er durch das Dickicht des Waldes; bis zu jener Lichtung, die sie eigentlich kein zweites Mal hatten aufsuchen wollen.
    Niisu grub mit seinem Messer zwei weitere Steine aus.
    Und in diesem Moment kam von hinten das fauchende Geräusch.
    Es war ein so mächtiger, heftiger Laut, daß Niisu zuerst dachte, der Sturm sei da. Dann aber gruben sich spitze Nägel in seine Schulter. „Niisu!"
    Er fuhr herum. Und dann sah er es selbst. „Das Brehem", flüsterte er.
    Nicht mehr als zehn Meter entfernt hockte das Untier: ein tonnenschwerer, gestreifter Brocken aus Fell und Muskelfleisch, mit giftigen Reißzähnen, langen Beinen hinten und vier kurzen Klauen vorn, die zum Laufen nicht geeignet waren. Aber das Brehem mußte nicht laufen. Ein kurzer Sprung hätte genügt, und es hätte Niisu und seine Sterngefährtin zerrissen, bevor sie auch nur einen Schritt zur Seite tun konnten. „Beweg dich nicht", wisperte Cahlie. Verkrampft, mit schwitzenden Beinen hockte sie in seinem Nacken. „Das Brehem reagiert nur auf Bewegung. Steh still, und wir sind für seine Augen nicht mehr da."
    Mit aller Gewalt bezähmte Niisu den Fluchtreflex.
    Seine Beine zuckten, doch sie bewegten sich um keinen Zentimeter. So nahe war das Brehem jetzt, daß er seinen Atem riechen konnte. Die pelzige Gestalt schien so gewaltig wie ein Fels. Allein das Maul war größer als Niisus Leib, ein einziger Zahn länger als seine Unterarme. „Ruhig, Niisu ... Irgendwo hier befindet sich der Bau. Das Brehem hat um diese Jahreszeit Junge."
    Eine fürchterliche Windbö peitschte durch das Dickicht. Sträucher wirbelten vorbei. Ein kalter Sprühregen ergoß sich von oben über das Land, und von einem Moment zum anderen verschwand der sichtbare Himmel. Statt dessen senkte sich ein Schatten, der den letzten Sonnenstrahl aufsog und den Wald in düsteres Zwielicht tauchte.
    Das Brehem duckte sich.
    Durch meine Adern pulsiert der Strom. Mein Blut vermischt sich mit dem meiner Frau und meines Kindes. Das Tier wird gehen, Cahlie. Es hat uns längst vergessen.
    In den Sprungbeinen des Untiers spannte sich die Muskulatur; doch dann drehte es sich, dem fürchterlichen Wind entgegen. Mit einem einzigen langen Satz verschwand das Brehem außer Sicht. Niisu hörte noch, daß es irgendwo in einer Pfütze aus Schlamm landete.
    Plötzlich herrschte Stille - nur eine Sekunde lang. Die Gewalt des Windes fiel über sie her wie eine steinerne Faust. Niisu wurde von den Beinen gefegt. Cahlie vermochte nicht länger, sich mit den Beinen festzuklammern, sie wurde umhergewirbelt. Er bekam eine ihrer Hände zu fassen. All seine Kraft konzentrierte er auf das eine Ziel: nicht den Halt verlieren. Denn wäre das geschehen, wäre auch die Nabelschnur gerissen, die ihn und seine Frau verband. Sein Blut nährte das Kind in ihrem Leib. Der Körper einer Frau war viel zu schwach dazu, weil sie nicht ein Fünftel soviel wog wie er.
    Nicht das Eis, dachte, Niisu. Ihr Götter von Boor, gebt uns Zeit, die Mulde zu erreichen!
    Die Luft schien von losgerissenen Ästen und Blättern erfüllt, sogar Bäume wurden jetzt entwurzelt.
    Ihr Sturz endete vor einem festen Stamm. Mit betäubender Wucht prallten sie gegen die Rinde, zuerst Niisu, dann Cahlie hinterher. Und sosehr der Schmerz auch seinen Körper lahmte, es war doch ihr Glück. Sonst hätten sie keine Chance bekommen, sich zu orientieren. Wer einmal in Bewegung geriet... Niisu griff mit beiden Händen zu. Im Windschatten des Stammes kletterte Cathie auf seinen Rücken; nicht bis in den Nacken hoch, sondern nur so weit, daß sie mit beiden Beinen seine Lenden umschlingen konnte. „Zurück zum Lager!" brüllte Niisu gegen den Sturm. „Weißt du die Richtung, Cahlie?"
    „Nein!" gab sie zurück. „Wir schaffen es nicht! Wir brauchen einen Unterschlupf!" Vorbei.
    Es hat keinen Sinn mehr.
    Erneut mischte sich eisige Kälte in den Wind. Diesmal hatte er den Eindruck, daß feinste Partikel ihm die Haut von den Knochen rieben. Nichts dagegen tun zu können war furchtbar.
    Im selben Augenblick traf ihn eine Bö von der Seite. Niisu wurde von den Beinen gerissen. Wohin sie rutschten, sah er nicht mehr; denn hätte er die Augen offengelassen, irgendein Ast hätte sie ihm ausgestochen. Noch spürte er das Pulsieren

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