1675 - Der Kopfjäger
sie leise auf und schaute zur Decke. Es war für sie ein Schock, den sie erst überwinden musste. Im Augenblick wussten wir beide nicht, was wir sagen sollten, dafür meldete sich in meinem Büro das Telefon. Ich rutschte von der Schreibtischkante und war wenig später am Apparat. Es war Shao, die anrief. Als ich ihre Stimme hörte, spürte ich den Stich in meiner Brust, denn ich würde sie enttäuschen müssen.
»Habt ihr schon eine Spur von Suko?«
»Leider nein.«
Ich hörte sie stöhnen. »Das kann doch nicht sein, John. Wie kann ein Mensch nur so verschwinden? So plötzlich, ohne Spuren zu hinterlassen? Wo doch in London vieles überwacht wird!«
»Das ist alles richtig, Shao. Leider wird die Tiefgarage nicht überwacht. Und ich weiß nicht mal, mit welch einem Fahrzeug die Entführer geflohen sind.«
»Ja, das verstehe ich, John. Aber du kannst dir vorstellen, dass ich mir schon Sorgen mache.«
»Das ist ganz natürlich. Mir ergeht es nicht anders. Glenda und ich sitzen gerade zusammen und denken darüber nach, wie es weitergehen könnte.«
»Habt ihr denn eine Idee?«
»Nein, noch nicht. Es ist auch schwer, weil wir nichts in den Händen halten.«
»Aber ihr gebt nicht auf?«
»Darauf kannst du dich verlassen.«
Shao atmete schwer. Dann sagte sie: »Wenn ihr Hilfe braucht, sagt es. Ich stehe zur Verfügung, und das nicht nur als Shao. Du weißt, was ich damit meine?«
»Natürlich. Als Phantom mit der Maske.«
»Richtig.«
»Ich melde mich wieder.«
»Gut. Bis dann.«
In meinem Innern blieb das bohrende Gefühl, als ich aufgelegt hatte. Es lief alles verkehrt. Nun war Suko kein Mensch, der sich so einfach fertigmachen ließ. Er würde sich schon zu wehren wissen, das stand fest. Und eines kam noch hinzu: Ich glaubte nicht daran, dass man Suko entführt hatte, um ihn schnell zu töten. Auch für Kidnapping gibt es immer einen Grund. So musste ich davon ausgehen, dass dies auch bei meinem Freund zutraf.
Suko war entführt worden, weil man etwas von ihm wollte. Und womit hing das zusammen?
Eigentlich war die Erklärung recht simpel. Mit seiner Entdeckung. Er hatte das Monster gefunden oder was immer die Gestalt auch war. Das war sein Fehler gewesen. Die andere Seite, wer immer sich dahinter auch verbarg, hatte dies nicht zulassen können, wobei mir die Gründe nicht ganz klar waren. Das lag alles noch zu weit weg. Der Meinung war auch Glenda Perkins, als ich das Thema bei ihr im Büro anschnitt und den Rest meines Kaffees trank.
»Und wo liegt die Lösung, Glenda?«
»Ich kann es dir nicht sagen.«
»Haben wir überhaupt eine Chance?«
Glenda sagte erst mal nichts. Sie hielt den Kopf gesenkt und schaute zu Boden. Ich ließ sie in den folgenden Sekunden in Ruhe. Als ungefähr eine halbe Minute verstrichen war, hob sie den Kopf an und nickte mir zu. Ihr Gesicht zeigte dabei einen entschlossenen Eindruck, über den ich mich nur wunden konnte.
»Was ist, Glenda? Hast du die Lösung?«
»Ob es die Lösung ist, weiß ich noch nicht. Zumindest habe ich eine Idee…«
***
Suko hatte jedes Wort verstanden, und für ihn stand fest, dass die Gestalt nicht bluffte. Sie wollte seinen Kopf. Sie war mit ihrem unzufrieden und der Inspektor, der nichts sagte, stand nur da und starrte nach vorn in das hässliche Gesicht. Wenn er ehrlich war, konnte er den Wunsch sogar verstehen. Mit einem solchen Kopf oder Körper herumzulaufen war nicht das Wahre, und das machte ihn wohl wütend. Der breite Mund war durch das Grinsen noch breiter geworden. Der bläuliche Körper schimmerte im Deckenlicht. In den hellen Augen mit den drei dunklen Pupillen glomm die reine Boshaftigkeit. Noch trennte ein Gitter die beiden. Suko war sich sicher, dass es geöffnet werden konnte, wenn nötig, damit die Gestalt freie Bahn hatte.
Es dauerte nicht lange, da hatte Suko den ersten Schock überwunden. Seine Gedanken arbeiteten wieder normal. Da gab es keine Ablenkung mehr und er dachte daran, dass er nicht waffenlos war. Noch immer besaß er die Dämonenpeitsche, die als Waffe nicht zu erkennen war, ebenso wenig wie der Stab.
Die Peitsche schlagbereit zu machen wäre kein Problem gewesen. Auch nicht das Treffen der Gestalt, denn die Lücken zwischen den Stäben waren breit genug. Seltsamerweise verspürte Suko Hemmungen. Er wusste nicht genau, woran es lag, dachte aber darüber nach. Dass er möglicherweise durch Kameras beobachtet wurde, war auch egal, es war etwas anderes, was bei ihm eine innere Unruhe bewirkte. Er
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