1687 - Leibwächter der Halbvampire
ob man sie noch als einen normalen Menschen bezeichnen konnte.
Als er dicht vor Irina stand, fragte sie: »Hast du das Messer?«
»Ja.«
»Gib es her!«
Parker zögerte. Es war der Punkt gekommen, wo er noch hätte ablehnen können, doch er dachte an seinen Auftraggeber. Der hatte ihm gedroht, dass man ihn jagen und töten würde, sollte er sich anders entscheiden.
Und so tat er das, was die Russin von ihm verlangte. Er holte ein Klappmesser hervor und drückte es Irina in die Hand.
»Du hast Angst, wie?«, fragte sie.
»Nicht direkt. Mehr Bedenken.«
Sie machte eine Handbewegung zur Seite. »Die kannst du vergessen.«
»Und wenn sie tot ist?«
Irina klappte das Messer auf, lächelte und wandte sich ab. Sie sagte nur: »Ich will dich dabei haben. Du musst sie unter Umständen festhalten.«
»Ja, schon gut.« Er folgte ihr und musste noch eine Frage loswerden. »Du willst tatsächlich ihr Blut trinken?«
»Das weißt du doch.«
»Aber du bist kein Vampir.«
»Das stimmt.«
»Und trinkst trotzdem Menschenblut?«
»Genau.«
Mehr sagte Irina nicht. Sie hatte Sandra Hale inzwischen erreicht und blieb neben dem Sessel stehen. Die Sekretärin war noch nicht aus ihrer Bewusstlosigkeit erwacht. Nach wie vor lag sie in der gleichen starren Haltung im Sessel. Bekleidet war sie mit einem kurzen schwarzen Cordrock und einer wiesengrünen Bluse, deren oberste Knöpfe nicht geschlossen waren.
Irina fasste in den Ausschnitt hinein, bekam den Stoff zu fassen, zog ihn etwas vom Körper weg und nahm dann das Messer, um ihn zu zerschneiden. Die Fetzen der Bluse schleuderte sie zu Boden und starrte gierig auf die nackte Haut.
Sandra Hale trug einen BH. Der schmale Träger störte Irina. Deshalb streifte sie ihn über die Schulter.
»Ach ja«, sagte sie und drehte ihr Gesicht dem Mann neben ihr zu, der jede ihrer Bewegungen gespannt verfolgt hatte. »Ich will dir eine kurze Erklärung geben. Ein Vampir bin ich nicht, sondern ein Halbvampir oder besser gesagt eine Halbvampirin. Auch wir brauchen das Blut der Menschen, nur sind uns keine Zähne gewachsen, wie man sie bei den Vampiren kennt. Hast du verstanden?«
»Ich habe alles gehört.«
»Gut, dann halt sie fest. Wenn sie schreit, musst du ihr den Mund zuhalten.«
Yancey Parker nickte. Er fühlte sich ganz und gar nicht wohl in seiner Haut. In ihm brodelte es wie in einem Kessel, in dem sich ein Überdruck ausgebreitet hatte. Er musste sich schon zusammenreißen, um die Beherrschung zu bewahren. Normalerweise hätte er so etwas nicht mitgemacht.
»Und wie wird es laufen?«, flüsterte er.
»Das ist ganz einfach. Ich habe die Schulter freigelegt und werde dort einen Schnitt machen.« Sie sprach so locker wie ein Chirurg, der über seine hundertste Operation berichtete.
»Und dann?«
»Werde ich meinen Hunger stillen. Nicht mehr und nicht weniger. Sonst noch Fragen?«
Parker schüttelte den Kopf. Nein, Fragen hatte er nicht mehr. Oder doch. Doch die zu stellen traute er sich nicht. Dafür schaute er zu, wie sich die Halbvampirin nach vorn beugte und dort, wo das Fleisch am dicksten war, die Spitze des Klappmessers ansetzte. Einen Moment zögerte sie noch, lachte leise, dann führte sie den schrägen Schnitt durch.
Sofort quoll Blut hervor. Genau so hatte Irina es haben wollen. Sie beugte ihren Kopf hinab, stöhnte noch mal wohlig auf und presste ihren weit geöffneten Mund so auf die Wunde, dass das Blut in ihren Rachen quoll …
***
Yancey Parker glaubte, sich im falschen Film zu befinden. Aber das hier war kein Film. Was er hier erlebte, musste er als brutale Realität bezeichnen. Das war so verrückt und unnatürlich, dass er es nicht begreifen konnte.
Irina hatte das Messer aus der Hand gelegt und trank. Es war nicht nur ein Trinken, sondern auch ein Saugen, das von schmatzenden Lauten untermalt wurde.
Und sie trank so geschickt, dass kein Tropfen Blut aus ihren Mundwinkeln rann. Da musste man schon von einer gewissen Routine sprechen.
Der Leibwächter stand wie ein Zinnsoldat daneben und schaute einfach nur zu. Er hatte sogar sein Denken ausgeschaltet, denn was er da zu sehen bekam, war ungeheuerlich. Ihm kam in den Sinn, dass es neben der normalen Welt, in der er sich bisher bewegt hatte, noch eine zweite gab, und das zu begreifen war für ihn unmöglich.
Trotzdem blieb er der Beobachter, aber er nahm seinen Blick von Irina und sah Sandra Hale an. Sie war seine Mitarbeiterin. Sie hatten ein gutes Verhältnis. Er hatte sich immer auf sie verlassen
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